Mein wundervolles Genom
Geburt des kleinen Lindsey geheiratet hatten, und ein paar alte Leute in der Gegend meinten, Nora sei ziemlich sicher von einem anderen Mann als Albert schwanger geworden. Aber inzwischen schrieb man das Jahr 1985, und weitere Anhaltspunkte ließen sich nicht finden – die Dokumentenspur endete.
Viele Jahre später, 2008, hörte Mike Hunter von den Wundern der Genanalyse und nahm die Suche wieder auf. Er meldete sich als Freiwilliger für Sorensons Projekt und stellte sein Y-Chromosom, das auch das Y-Chromosom seines Großvaters Lindsey war, der Datenbank zur Verfügung. Natürlich sah er sich bevorzugt bei den vierzehn Familien in der Datenbank um, die den Namen Hunter trugen, aber vergebens. Doch nach einiger Zeit landete er einen unerwarteten Treffer: eine perfekte Übereinstimmung beim Y-Chromosom in einer Familie namens Bailey, die ebenfalls aus der abgelegenen Kleinstadt stammte, in der Lindseys Eltern geheiratet hatten. Kurz darauf traf Mike Hunter seine neuen Verwandten, die Nachkommen seines wahren Urgroßvaters.
»So etwas ist zutiefst befriedigend«, sagt Scott Woodward ein bisschen salbungsvoll, »aber wie vorhin schon erwähnt, unser Hauptziel ist es, die Einstellung der Menschen zu verändern.«
Dieses Ziel, so führt er aus, habe die Stiftung veranlasst, an einem bestimmten Punkt nach Israel zu gehen und eine Begegnung zwischen zwei Frauen zu arrangieren, einer Israelin und einer Palästinenserin, zwei ganz normalen, durchschnittlichen Menschen.
»Ich erinnere mich, wie die Palästinenserin mir ein bisschen besorgt zuflüsterte, nie zuvor sei sie einem Juden so nahe gewesen«, erzählt Woodward.
Ich fürchte, ich weiß, was jetzt kommt.
»Aber wir konnten ihnen zeigen, dass sie eine Menge DNA-Sequenzen gemeinsam hatten und als Völker sehr verwandt waren. Damit war das Eis zwischen ihnen gebrochen, und sie gingen als Freundinnen auseinander.«
Woodward klingt immer mehr wie ein Prediger, deshalb versuche ich, das Gespräch in eine eher technische Richtung zu lenken. Ich frage,wie groß der Markt für genetische Genealogie in Zukunft sein dürfte und welche Faktoren im Wettbewerb eine Rolle spielen.
»Eine große Datenbank ist ganz eindeutig ein Faktor. Aber nach meinem Dafürhalten sind die Fähigkeiten und Möglichkeiten, genetische Informationen für die Kunden zu interpretieren, absolut entscheidend. Ich bin ganz sicher, dass persönliche genetische Informationen in vielerlei Hinsicht feste Bestandteile unsere Lebens sein werden, aber die meisten Leute werden Probleme haben, diese Informationen zu verstehen und zu verwenden. Wir brauchen Menschen, die solche Informationen erklären können.«
Ich begreife, was Scott Woodward gemeint hat, als ich meinen eigenen Testbericht in der Hand halte. Ich lese lauter Zahlen und scheinbar zufällige Buchstabenkombinationen; es kommt mir ein bisschen so vor, als versuchte ich eine fremde Sprache zu entziffern. Glücklicherweise habe ich eine Vereinbarung mit Ugo Perego, dem Leiter des Labors in Salt Lake City. Er hat mir versprochen, sich meine Chromosomen genau anzusehen und sie mir am Telefon zu erklären. Dabei erfahre ich auch, dass sie das Y-Chromosom meines Bruders auf dreiundvierzig Marker getestet haben, jeder besteht aus einer Reihe von Wiederholungen kleiner DNA-Sequenzen. Die Zahlen, die ich zunächst nicht verstanden habe, geben die Zahl der Wiederholungen für jede der dreiundvierzig Positionen an. Leider ist das Ergebnis nicht besonders aufregend.
»Auf der väterlichen Seite gehören Sie und Ihr Bruder zu Haplogruppe I1«, erklärt Perego mit starkem italienischem Akzent. Die Information sagt mir nicht viel mehr, als dass mein Bruder und ich Skandinavier sind. Haplogruppe I1 kommt mehr oder weniger ausschließlich in Europa vor, wo sie vor rund achtundzwanzigtausend Jahren entstanden zu sein scheint. Heute ist etwa jeder dritte dänische Mann I1.
»Wie langweilig«, rutscht es mir heraus. »Aber was war schon anderes zu erwarten?«
Perego stimmt zu. Und dann sagt er in völlig anderem Ton: »Die gute Nachricht ist, dass Ihre mitochondriale DNA ganz und gar nicht langweilig ist.«
Er gibt mir zuerst eine kurze Erklärung, wie man beim Test mit der mitochondrialen DNA verfährt. In Sorensons Labor werden 1100 von den über sechzehntausend Basenpaaren, aus denen das ringförmige mitochondriale Genom besteht, sequenziert. Diese 1100 Basenpaare umfassen einige Regionen, in denen typischerweise Mutationen auftreten, und die im Test
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