Mein wundervolles Genom
gefundene Sequenz wird mit einer Referenz-Sequenz verglichen. Diese sogenannte Cambridge Reference Sequence wurde seinerzeit von einer Europäerin genommen und gehört zu Haplogruppe H2. Nun wird untersucht, welche Basen sich von der Referenz-Sequenz unterscheiden, oder anders ausgedrückt, welche Punktmutationen die getestete Person im Vergleich zu Haplogruppe H2 aufweist. Je mehr Unterschiede, desto weiter ist man vom Standard weg, erklärt mir Perego geduldig, und nennt als Beispiel einige afrikanische Haplogruppen, die in der Regel fünfzehn bis zwanzig Unterschiede zeigen.
Ich sehe mir meinen Bericht genau an und stelle leicht enttäuscht fest, dass ich weitgehend mit der Referenz-Sequenz übereinstimme. Es sind nur sechs Mutationen vorhanden.
»Stimmt. Aber was für Mutationen! Sie haben ein paar alte und ziemlich seltene, was bedeutet, dass wir Ihre Haplogruppe mit Blick auf die Geschichte der menschlichen Wanderungsbewegungen in einen ganz bestimmten Kontext einordnen können.«
Ich warte, während Perego in Papieren blättert.
»Erstens, Sie gehören zu Haplogruppe H2a1, einer Untergruppe von H2. Ihre Untergruppe hat ihren Ursprung im Mittleren Osten und im Kaukasus, wo sie vor rund zehntausend Jahren dank einer neuen Mutation entstand. Das ist die Angabe 16354T in Ihrem Bericht. Im Kaukasus hat sich diese Linie geteilt, drei Zweige von H2a1 wanderten von dort in drei verschiedene Richtungen. Ein Zweig zog südlich auf die arabische Halbinsel, ein zweiter ins nördliche China, Russland und nach Sibirien, ein dritter nach Osteuropa, später weiter nach Westeuropa und schließlich nach Skandinavien. In dem Zweig, der Skandinavien erreichte, trat später eine neue Mutation auf, 16193T, die Sie ebenfalls haben.«
Ich schaue auf den Bericht und finde es.
»Möchten Sie ein paar Zahlen?«, fragt Perego. Er hat seine Hausaufgaben gemacht.
»H2a1 findet man heute bei vier Prozent der Ostslawen und bei rund einem Prozent der Esten und Slowaken. Bei den Skandinaviern ist es selten, und ganz besonders selten bei jemandem, der die beiden Mutationen 16354T und 16193T hat – die Kombination der beiden ist wirklich sehr selten.«
Ich gebe zu, dass mich das nun doch sehr interessiert. Es muss möglich sein, das genealogisch zu nutzen – mit meinen seltenen Mutationen kann ich mich auf die Jagd nach bislang unbekannten Verwandten begeben.
»Nun, die Namen Ihrer Vorfahren sind nicht in Ihre DNA eingeschrieben«, sagt Perego ein wenig scharf. »Wenn Sie Antworten auf genealogische Fragen suchen, brauchen Sie eine Theorie über einen Zusammenhang, der dann mittels DNA erhellt werden kann. Sie denken daran, sich an öffentliche Datenbanken zu wenden und nach einer Übereinstimmung zu suchen; das ist zwar möglich, aber das Problem ist, dass nur wenige Personen, die sich testen ließen, in diesen Datenbanken vorkommen. Es wäre ein glücklicher Zufall, wenn Sie jemanden finden. Viel häufiger ist der Fall, dass zwei Personen, die vermuteten, dass sie verwandt sein könnten, sich testen ließen und die Vermutung bestätigt oder widerlegt werden konnte.«
»Aber falls ich eine perfekte Übereinstimmung für meine mitochondriale DNA finde«, hake ich nach, »dann könnte man doch feststellen, wann unser letzter gemeinsamer Vorfahre gelebt hat?«
Ugo Perego stößt einen tiefen Seufzer aus.
»Weil die mitochondriale DNA so langsam mutiert, ist eine perfekte Übereinstimmung keine Garantie, dass Sie innerhalb der letzten vierhundert Jahre einen gemeinsamen Vorfahren haben. Wenn Sie aus der gleichen Region kommen, könnte es sich lohnen, es über eine Datenbank zu versuchen und weiter nachzuforschen. Sie müssten Ihre eigenen genealogischen Daten und die der anderen Person ansehen und auf diese Weise herausfinden, ob Sie verwandt sein könnten. So funktioniert es.«
Einfacher geht es mit dem Y-Chromosom, weil es schneller mutiert. Bei zwei Personen, die bei siebenunddreißig Markern übereinstimmen, besteht immerhin eine 50-prozentige Chance, innerhalb der letzten fünf Generationen einen gemeinsamen Vorfahren zu finden.
»Aber es können auch siebzehn Generationen sein, und auf einmal ist es sehr schwierig, weil Sie dann in Zeiten sind, als es noch keine Familiennamen gab.« Perego klingt nun, als langweile ihn das Gespräch ein wenig.
Mir fällt der spanische Soldat ein, der in meinem Stammbaum präsent sein könnte – oder auch nicht. Wenn er kein direkter Vorfahre ist, könnte auch eine gründliche Analyse des
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