Mein wundervolles Genom
faszinierendsten war, dass wir die Sequenz meines Vaters von meiner unterscheiden und so den Teil meiner DNA identifizieren konnten, der von meiner Mutter stammt. Es war, als hätte ich meine Mutter wieder. Dad weinte, und ich wäre auch beinahe in Tränen ausgebrochen. Ein sehr aufwühlender Moment.«
»Warum?«, unterbricht Krulwich. »Eine DNA-Sequenz ist doch nur ein Ausdruck mit Linien in verschiedenen Farben.«
»Und was ist ein Foto?«, fragt Gates ruhig zurück. »Es ist ›nur‹ eine bildliche Darstellung einer realen Person auf Papier. Das Genom ist aufdie gleiche Weise eine Metapher für eine Person, und genau wie die Menschen früher erst lernen mussten, wie man Fotos anschaut, müssen wir lernen, in diesen Linien und Basen die Person zu sehen. All das ist Teil unserer Identität.«
Und dann ruft der dunkelhäutige Gates aus, dass er übrigens weiß sei. Seine mitochondriale DNA und sein Y-Chromosom deuteten direkt auf Wurzeln in Europa. »Bei 35 Prozent der schwarzen Amerikaner stammt das Y-Chromosom von einem Sklavenhalter, für viele ist das ein Schock. Aber in meinen Augen hat Genetik damit zu tun, die Mythen von Rassenreinheit zu zerstören. Es ist gut, wenn wir begreifen, dass wir alle eine menschliche Form von Bouillabaisse sind – eine wunderbare Mischung.«
Leider muss sich Gates nach dieser herzerwärmenden Eröffnung zu einer Haushaltssitzung verabschieden. Und wir müssen als Nächstes zwei Unternehmern zuhören: Jay Flatley, Chef von Illumina, und Greg Lucier, Chef von Life Technologies. Beide Unternehmen versuchen sich in der Sequenzierung von Genomen, und beide Chefs verströmen eine Aura von zielstrebiger Entschlossenheit. Flatley wie Lucier haben ihre Genome sequenzieren lassen und veröffentlicht; Krulwich möchte nun wissen, ob sie sich Sorgen machen, dass Aktionäre und Verwaltungsratsmitglieder ihre Daten durchforsten und auf Dinge stoßen könnten, die ihnen nicht gefallen.
»Ich bin vollkommen gesund«, sagt Flatley nur.
»Und Ihre Familien, wie fühlen die sich?«, hakt Krulwich nach.
»Wir haben zu Hause viel darüber gesprochen«, berichtet Lucier, der dabei ist, auch seine Frau, seine Kinder und seine Eltern sequenzieren zu lassen. »Alle sind begeistert, und in Anbetracht der Branche, in der ich tätig bin, finden wir das ganz normal. Wir wollen die Avantgarde sein, Vorbilder, denen man nacheifert.« Er schenkt den Zuhörern ein strahlendes Lächeln.
»Ja, aber die Kinder…«, versucht es Krulwich noch einmal.
»Okay«, meint Flatley. »Es könnte ein Argument sein, sein Genom nicht ins Internet zu stellen, weil man dadurch automatisch das halbeGenom der eigenen Kinder öffentlich macht, ohne dass sie ein Mitspracherecht haben. Natürlich ist das eine Frage, die man gründlich bedenken muss.«
»Ich habe einfach Schwierigkeiten, mir vorzustellen, was Sie gewinnen, wenn Sie es öffentlich machen«, sagt Krulwich.
An diesem Punkt der Diskussion gesellt sich die zierliche, zerbrechlich wirkende Esther Dyson zu den beiden stämmigen Unternehmenschefs auf dem Podium. Sie erklärt geduldig, die sogenannten vernünftigen Leute würden den Nutzen einer Menge scheinbar verrückter Dinge nicht erkennen, von denen wir heute wissen, dass sie wichtig für die Entwicklung des Internets waren. Und ohne Internet könnten wir heute nicht mehr leben. »Genauso wird ein Teil der seltsamen Gründe, warum Menschen sich für Genetik interessieren, zu den Triebkräften zählen, die dann vielen Bereichen zugutekommen, nicht zuletzt der Medizin«, sagt sie. »Sie können heute nicht einfach hier sitzen und abwarten, was in der Zukunft wichtig sein wird. Publicity und Aufmerksamkeit sind gut, weil die Menschen mehr darüber erfahren müssen. In zehn Jahren wird es anwendbares Wissen geben, und es hat keinen Zweck, bis dahin abzuwarten.«
Dyson versteht auch nicht, warum die Menschen nicht in der Lage sein sollen, die statistischen Zusammenhänge zu begreifen. Sie habe Respekt vor der Intelligenz der Menschen: »Wenn sie die Statistik beim Baseball verstehen, können sie auch Grundlegendes aus der Genetik erfassen. Und es ist leichter zu verstehen, wenn man die eigenen Daten anschaut, als wenn man irgendein Handbuch liest.«
Flatley unterbricht sie. »Wir müssen auf den Punkt kommen, warum die Vorteile, wenn man das eigene Genom ins Netz stellt, so groß sind, dass es verrückt wäre, es nicht zu tun.«
Zufällig hat sein Unternehmen die Vision, eine ganz Palette von Produkten zu
Weitere Kostenlose Bücher