Mein wundervolles Genom
wie die Informationen verwendet werden, in der Forschung und im Leben. Wer sagt, dass man sich nur für schwere Krankheiten interessieren darf und dass nur Krankheitsgene Aufmerksamkeit verdienen? Warum sollte nicht alles seine Berechtigung haben? Letztlich geht es in der Konsumgenetik darum, dass man sich selbst auf molekularer Ebene erforscht und entdeckt – und der Markt liefert, was immer der Konsument wünscht.
»Sie sind auch hier?«
George Church, Professor an der Harvard University, wirkt leicht überrascht, mich bei einer weiteren Konferenz in Boston zu treffen. Vor kurzem habe ich bei der Consumer Genetics Show ein paar höfliche Worte mit ihm gewechselt, und nun stehen wir wieder da mit Namensschildern an der Brust und Kaffeebechern in der Hand. Diesmal findet die Veranstaltung in dem eleganten Gebäude von Microsoft in Cambridge statt, und sie ist viel exklusiver. Die Teilnahmegebühr beträgttausend Dollar – doppelt so viel, wie das billigste SNP-Profil kostet –, es sei denn, man hat einen Presseausweis. Diesmal geht es um Churchs eigene Version von Konsumgenetik: das Personal Genome Project.
Das PGP, wie es unter Freunden heißt, ist nicht nur sehr persönlich, sondern auch hochambitioniert. Die Vision ist, hunderttausend Freiwillige zu gewinnen. Sie bekommen eine kostenlose Sequenzierung ihres gesamten Genoms, wenn sie damit einverstanden sind, dass ihr Genom und eine Fülle von Gesundheitsinformationen ins Internet gestellt werden. So soll ein enormer Datenbestand entstehen, der es ermöglicht, nach Verbindungen zwischen Genen, Umweltfaktoren und individuellen Merkmalen zu suchen. Neben den Daten stehen auch der Name und ein Bild frei zugänglich für jeden im Internet.
»Mich hat das Modell von Wikipedia angeregt«, sagt Church und schiebt sich ein Stück Bagel in den Mund. Das Projekt ist für ihn der Versuch, in der Biologie eine Parallele zur »Open-source-Bewegung« in der Computerwelt zu schaffen: Dort ist die Software frei, jeder kann Verbesserungen vornehmen und einen freiwilligen Beitrag zum allgemeinen Wissen leisten. Das besonders Innovative beim Personal Genome Project ist, dass auch Laien Zugang zu den Daten bekommen.
»Das sind extrem wertvolle Daten, es wäre verrückt, sie nur Unternehmen und Forschern von Universitäten vorzubehalten. Wir wissen einfach nicht, woher in Zukunft die Innovationen kommen werden. Die Technologie ist so kostengünstig, dass jeder mitmachen kann, und vielleicht ist der nächste Bill Gates oder Steve Jobs eine Fünfzehnjährige, die vor dem heimischen Computer in unserer Datenbank stöbert und dabei auf eine tolle Idee kommt.«
Church selbst war einer von denen, deren Karriere damit begann, dass sie im Kinderzimmer Computer zusammenbastelten. Jetzt, viele Jahre und etliche Erfindungen später, zählt das Magazin Newsweek ihn zu den »zehn heißesten Nerds weltweit«. 11 Der amerikanische Journalist Carl Zimmer sagt über ihn, er sei »wahrscheinlich der klügste, einflussreichste Biologe, von dem Sie jemals gehört haben«. 12 Wie er nun kauend vor mir steht mit seinen langen Haaren und dem langen Bart, erinnert er mich eher an einen fröhlichen Waldarbeiter. Ich versuche es mit der schmeichelhaften Bemerkung, neben seinem Projekt sähen 23andMe und ihre Forschungsrevolution wie ein Maiausflug im Regen aus.
»Ja, nun, wir unterscheiden uns von anderen Projekten«, erwidert er. Nicht nur durch die Teilnehmerzahl ist seine Vision besonders, sondern auch dadurch, wie gründlich jeder untersucht und analysiert wird. Das Personal Genome Project bezieht Gesundheitsangaben der Freiwilligen mit ein – Erkrankungen, welche Medikamente sie nehmen, wie sie sich ernähren – und führt eigene Verlaufskontrollen durch. Zum Beispiel schicken sie die Teilnehmer zu Gehirnaufnahmen, um Struktur und Funktionsweise dieses Organs besser zu verstehen. Man schaut sich die Immunsysteme der Freiwilligen genau an, und wie jeder Einzelne auf unterschiedliche Infektionen reagiert. Schließlich wird noch eine Hautbiopsie vorgenommen. Daraus werden unsterbliche Stammzellen gewonnen und in einer Biobank gelagert; jeder, der ein interessantes Forschungsvorhaben hat, kann eine Probe bestellen. Wie Church es ausdrückt: »Sie können ein kleines Stück Steven Pinker bekommen.«
Übrigens kann man auch ein Stück von George Church bekommen. Er und der prominente Psychologe Pinker gehörten zu den ersten zehn Teilnehmern – den Pionieren –, wie auch IT-Guru Esther Dyson. Auf
Weitere Kostenlose Bücher