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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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der Website des Projekts erfährt man unter anderem, dass Church ein Adoptivkind und Legastheniker ist, dass Pinker von beiden Elternteilen her polnisch-jüdischer Abstammung ist, an Speiseröhrenkrämpfen leidet, Cholesterinsenker schluckt und Folsäure als Nahrungsergänzungsmittel nimmt. Die neunundfünfzigjährige Dyson teilt mit, dass sie »noch nie krank gewesen und nie bei der Arbeit ausgefallen« sei. Sie nimmt regelmäßig Schlaftabletten und täglich Östrogen gegen ihre Wechseljahrsbeschwerden. 13
    Auf den ersten Blick wirkt das Projekt wie ein Tabubruch: genetischer Exhibitionismus. Warum machen die das? Und warum glauben sie, sie könnten hunderttausend weitere Freiwillige finden, die den gleichen Informationsstriptease betreiben?
    »Im Augenblick stehen fünfzehntausend Leute in der Warteschlange«, sagt Church, was mich ein bisschen erschüttert. »Als Erstes müssen sie einen Eingangstest absolvieren, der zeigt, ob sie genug über Genetik wissen, um zu verstehen, auf was sie sich einlassen.«
    Die Teilnehmer fallen Church zufolge in drei Kategorien: Menschen, die sich für ungewöhnlich gesund halten und der medizinischen Forschung helfen wollen, indem sie bei dem Projekt mitmachen; Menschen, die glauben, dass sie schwer krank sind und deshalb nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben; und schließlich Menschen, die von Genealogie fasziniert sind. Sie haben sich für das Genografische Projekt testen lassen und von 23andMe und können einfach nicht genug bekommen.
    »Diese Leute sind Experten, sie wissen mehr über Genetik als ich«, sagt er und zerknüllt den leeren Pappbecher. Ich frage – halb im Scherz –, ob er noch eine Freiwillige unterbringen kann, werde aber als Dänin sofort abgelehnt. Das Projekt hat die offizielle Zulassung nur für die Zusammenarbeit mit amerikanischen Freiwilligen. Aber es gibt bereits Pläne für die Zusammenarbeit mit Zentren in anderen Ländern, die nach demselben Rezept eigene Genomprojekte starten werden. Südkorea steht in den Startlöchern, das zweite persönliche Genomprojekt zu beginnen.
    »Heute haben wir dreizehn komplette, namentlich zugeordnete und öffentlich zugängliche Genome«, sagt Church und deutet ins Auditorium, wo sich nach und nach zweihundert Konferenzteilnehmer versammeln. »Das ist die erste und die letzte Konferenz, bei der wir alle in einem Raum zusammenbringen, deren Genom komplett sequenziert wurde.«
    Einige der dreizehn Pioniere sind jedoch nicht gekommen, Steven Pinker beispielsweise. Aber James Watson, der Pionier aller Pioniere, ist von Cold Spring Harbor hergeflogen. Der alte Mann wirkt fit in seinem gut geschnittenen Jackett, eine junge Assistentin kümmert sich um ihn. Als Erster auf dem Podium wendet er sich direkt an Church: Er müsse weitermachen und mehr Genome in dem Labor in Harvard sequenzieren.
    »Nicht länger reden, sondern es einfach tun!«, knurrt Watson.
    Die Zuhörer kichern und flüstern, und der Interviewer dieses Tages, der Radiomoderator Robert Krulwich, geht schnell zum nächsten Punkt der Tagesordnung über. Der erfahrene Wissenschaftsjournalist macht keinen Hehl daraus, dass er selbst diesen öffentlich zugänglichen genetischen Informationen skeptisch gegenübersteht, aber er beginnt behutsam. Er wendet sich an Henry Louis »Skip« Gates junior, Harvard-Professor für Afroamerikanische Studien. Er und sein siebenundneunzigjähriger Vater haben beide ihr Genom sequenzieren lassen – »als erste Afroamerikaner und als erstes Vater-Sohn-Paar«, wie Gates anmerkt. Er fügt noch hinzu, wer im Saal die Fernsehserie über das Projekt nicht gesehen habe, solle die DVD kaufen. In weniger geschäftsmäßigem Ton sagt er dann: »Als Erstes und vor allem wollte ich meinen Vater unsterblich machen.«
    Auf meinem Platz weit hinten im Hörsaal muss ich unweigerlich daran denken, dass die meisten diesen freundlichen Mann wahrscheinlich wegen seiner Auseinandersetzung mit einem weißen Polizisten kennen, der den Professor vor seinem eigenen Haus im schicken Cambridge für einen Einbrecher hielt. »Rassist«, schallte es von der einen Seite, »arroganter Akademiker« von der anderen. Präsident Obama musste den Streit schlichten: Er lud die beiden Kontrahenten zu einem Versöhnungsbier in den Garten des Weißen Hauses ein; die Medien berichteten.
    »Es war sehr bewegend« sagt Gates. Damit meint er eine Szene in der Fernsehserie, in der Vater und Sohn zum ersten Mal ihre jeweiligen Genome betrachten. »Am

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