Mein zauberhafter Ritter
Gelegenheit nicht offen stehen.
Ein unerträglich niederschmetternder Gedanke.
Er runzelte heftig die Stirn, das Einzige, was ihm einfiel, um die Tränen zurückzudrängen. Eigentlich hielt er sich nicht für einen übertrieben gefühlsduseligen Menschen, doch er musste offen zugeben, dass ihn das Verschwinden seines Bruders John vor acht Jahren beinahe aus der Bahn geworfen hätte. Vielleicht lag es daran, dass sie wie Spiegelbilder voneinander gewesen waren. John war immer für ihn eingestanden und ihm gefolgt wie ein Schatten. Und dann war er plötzlich fort und hatte ein Loch in seinem Herzen hinterlassen ...
Unwirsch räusperte er sich und schob den Gedanken beiseite. Man konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Die Sache war nur, dass er genau wusste, was Pippas Familie durchleiden würde, wenn sie sich einfach in Luft auflöste.
Und er wollte nicht der Grund für diese Trauer sein.
»Montgomery?«
»Es geht mir gut«, erwiderte er mit belegter Stimme. »Wirklich.«
»Du weißt, dass du mir nichts Vorsingen musst«, sagte sie leise. »Ich bin nicht meine Schwester.«
Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, ich weiß.« Er entschied sich für ein Lied und nahm sich einen Moment, um seine Laute zu stimmen. Er würde für sie spielen und ihr vielleicht auch von seiner Familie erzählen. Und dafür sorgen, dass ihr kein Leid geschah ...
Bis er sie zurück zum Feenkreis brachte und sie nach Hause schickte.
Weil ihm nichts anderes übrig blieb.
18
Pippa ging den Flur entlang und fragte sich, wo Montgomery wohl stecken mochte. Den ganzen letzten Nachmittag und Abend hatte sie mit ihm verbracht und versucht, den Übergriff seines ausgesprochen widerlichen Cousins zu vergessen. Sie hatte ihm gestattet, den Kavalier zu spielen, solange es ihm gefiel, und da sich das aufs Haarebürsten, einige Lieder und die Gelegenheit beschränkt hatte, so ausführlich sie wollte von Tess und Peaches zu erzählen, hatte sie keine Einwände erhoben. Er hatte zwar ein wenig ernster gewirkt als sonst, doch das hatte sie darauf zurückgeführt, dass ihn mittelalterliche Sorgen plagten. Dass er allen Grund dazu hatte, lag schließlich auf der Hand.
Am Morgen war ihr klar geworden, dass er seine Ankündigung, er werde sie nicht aus den Augen lassen, tatsächlich ernst gemeint hatte. Beim Frühstück saß sie neben ihm und danach auf einem Baumstumpf in wenigen Metern Entfernung, während er seine Burgbesatzung inspizierte. Das war der Moment gewesen, in dem sie angefangen hatte, sich zu fragen, warum seine Verlobte bloß so leichtsinnig war, ihn nicht Tag und Nacht zu bewachen. Ganz eindeutig gab es im England des Mittelalters vieles, was sie nicht verstand - doch dieses Thema gehörte ganz sicher nicht dazu.
Seine Zukünftige musste eine Schraube locker haben.
Dann kam das Mittagessen, und anschließend hatte Montgomery sie in sein Gemach verbannt, damit er losreiten und sich um Dinge kümmern konnte, bei denen er den Steinschleudern und Pfeilen erboster Cousins vielleicht in stärkerem Maße ausgesetzt war als sonst. Pippa hatte sich mindestens eine Stunde lang in ihr Schicksal gefügt, bis sie trotz der Proteste von Fitzpiers, Phillip und Maurice zu dem Schluss kam, dass sie den USB-Stick niemals finden würde, wenn sie nicht selbst danach suchte. Sie versprach, sich vor möglichen Angreifern vorzusehen, und machte sich daran, Cindis Schritte nachzuvollziehen und jeden Ort abzuklappern, an dem ihre Schwester gewesen sein mochte.
Schließlich landete sie in Montgomerys Schlafgemach, wo sie die Tür hinter sich verriegelte - ein Glück, denn sonst hätte die ganze Burg ihren nicht sehr damenhaften Ausbruch gehört, als sie den von Cindi für sie unter dem Kopfkissen zurückgelassenen Zettel fand.
Habe deinen dämlichen USB-Stick mitgenommen. Also habe ich gewonnen. Schon wieder.
Pippa bebte derart vor Zorn, dass sie die Nachricht kaum lesen konnte. Also machte sie sich auf die Suche nach Montgomery, in der Hoffnung, der Zettel würde lange genug heil bleiben, dass sie ihn ihm zeigen konnte. Und da sie nicht wusste, wo er gerade steckte, konnte ein Rundumblick aus der Vogelperspektive nicht schaden.
Sie stieg die Treppe zu einem Wachturm hinauf und trat hinaus auf die Zinnen. Eigentlich war sie keine Freundin von großen Höhen - insbesondere dann nicht, wenn ein stabiles Geländer zwischen ihr und dem Abgrund fehlte. Montgomerys Befestigungsanlagen wurden jedoch nur von bröckelndem Mauerwerk gesichert.
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