Mein zauberhafter Ritter
Terriers der Frau geflogen war, dessen Befehl »Fass!« lautete, konnte sie nicht bestreiten. Die Antwort bestand aus einem heftigen Schlag auf den Kopf, und zwar mit einem Stickset, das nicht nur Stoff und Garn, sondern auch einen Holzrahmen enthielt.
Und danach war die Lage eskaliert.
Wie Pippa vermutete, saß sie nur deshalb nicht hinter schwedischen Gardinen, sondern stand im Rittersaal ihrer Schwester, weil diese sich ausgerechnet in diesem Moment auf die Suche nach ihr gemacht hatte. Der Laden hatte zwar kaum etwas abgekriegt, doch der Stolz der Verkäuferin war bis ins Mark verletzt. Pippa hatte sich widerstrebend entschuldigt, das Buch aber nicht herausgerückt. Dass sie es beim Weiterlesen an der Stelle, die sie mit dem Mittelfinger markiert hatte, vor Schreck beinahe in den Burggraben hätte fallen lassen, spielte keine Rolle.
Lord Montgomery hatte nie geheiratet.
Vielleicht lag das ja daran, dass er umgebracht worden war.
Aber im nächsten Moment nahm Tess ihr das Buch weg und wies sie streng an, mit dem schauerlichen Gewimmer aufzuhören. Pippa gehorchte brav und folgte ihrer Schwester nach oben in ihr Zimmer, wo sie in einen Sessel bugsiert wurde und Order erhielt, sitzen zu bleiben. Auch das tat sie, und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen. Die Vorstellung, dass Montgomery sich vor Sehnsucht nach ihr verzehrte, war eine Sache. Aber dass sein Leben vorzeitig geendet haben könnte, und das womöglich ihretwegen, war unerträglich.
Den restlichen Vormittag hatte Pippa ihre Schwestern unter Aufbietung sämtlicher Tricks dazu überredet, sie in Ruhe zu lassen, damit sie in Tess’ Büro einbrechen konnte, um sich das Buch zurückzuholen und zu Ende zu lesen. Ihr einziger Trost war, dass über das Schicksal des frühen Lord Sedgwick keine Einigkeit bestand. Manchen Berichten zufolge war er gefallen» während es in anderen hieß, er sei in einer Schlacht so schwer verwundet worden, dass er sich für den Rest seines Lebens nur noch an ein sonniges Fleckchen in seinem Hof tragen lassen und dort den Tag verbringen konnte, während die anderen ihren Pflichten nachgingen.
Sie wusste nicht, welches Schicksal für den Montgomery, den sie kannte, schlimmer gewesen wäre.
Den restlichen Nachmittag verbrachte sie damit zu duschen, bis ihre Haut schrumpelig wurde, weil sie im Bad wenigstens ungestört war. Hier gelang es ihr, Montgomery für längere Zeit - mindestens fünf Minuten - zu vergessen und sich mit ihrem eigenen Leben zu beschäftigen.
Einem Leben, das stets von dem Wissen um Montgomerys Ende überschattet sein würde.
Irgendwann hatten Tess und Peaches sie aus der Dusche gezerrt und sie gezwungen, nach unten zur Party zu kommen. Sie hatten darauf beharrt, dass das Fest sie aufheitern würde. Doch das Einzige, was sie aufgeheitert hätte, wäre die Möglichkeit gewesen, Montgomery einen Brief zu schreiben, um ihn zu warnen, er solle sich vor seinen Cousins hüten, da sie ihm nach dem Leben trachteten.
Doch das wusste er vermutlich bereits.
Seufzend fuhr sie sich mit der Hand übers Gesicht und zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Wie sehr wünschte sie sich, er möge alles stehen und liegen lassen und zu ihr kommen. Doch schließlich lebte sie in der Wirklichkeit und nicht in einem Märchen. Und in der Wirklichkeit setzten mittelalterliche Lords nun einmal nicht ihre ganze Existenz aufs Spiel, um in die Zukunft zu reisen und sich auf die Suche nach einer Frau zu machen, die sie vermutlich ohnehin längst vergessen hatten.
Sie löste sich von der Wand und warf Peaches einen finsteren Blick zu, als diese das Gleiche tat. »Ich hole mir nur was zu sinken«, zischte sie.
Peaches verschränkte lächelnd die Hände hinter dem
Rücken. Da ihre Schuhe, wie Pippa vermutete, nicht am Boden festgenagelt waren, würde sie ihr vermutlich wie ein Wachhund bis in die Küche folgen. Also machte sie sich seufzend auf den Weg den Flur entlang und wich dabei den wie eine stete Strömung vor ihr hin und her wogenden Tanzenden aus. Doch einer rührte sich nicht von der Stelle, sondern verharrte einfach reglos vor dem Kamin. Pippa blickte auf und wollte ihm schon ein Kompliment zu seiner vernünftigen Haltung machen.
Nur dass es ihr im nächsten Moment die Sprache verschlug.
Denn vor ihr stand ein Mann in mittelalterlicher Kleidung und mit einem mittelalterlichen Schwert am Gürtel, der so viel besser aussah, als es einem Ritter in Kostümierung je gelungen wäre.
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