Meine beste Feindin
es darum ging, sich die Lust aufs Leben so richtig zu vermiesen.
Als ich schließlich meine Zehen nicht mehr spürte, lächelte ich das andere Herrchen an und pfiff nach meinem Hund. Zu meinem großen Erstaunen kam er sofort. (Es war wirklich kalt.) Wir stapften zum Bürgersteig zurück, wo ich ihm wieder die Leine anlegte und ihn dann über die Straße zog.
Zurück in meinen erbärmlichen, jedoch gemütlich warmen vier Wänden, ließ ich mich auf die Couch fallen (die ich vor vielen Jahren aus der Garage meiner Eltern befreit hatte und die mit ihrem schwarzweißen Zickzackmuster inzwischen als retro durchging) und versetzte dem Blaubeerkleid einen Tritt. Ich hatte es in der Mitte meines winzigen Wohnzimmers liegen lassen, als ich am Abend zuvor nach Hause gekommen war. Die Blaubeerschuhe hatten im Müllschlucker bereits den Weg alles Irdischen angetreten.
Als das Telefon klingelte, war ich noch so mit meinem Hass auf Henry beschäftigt, dass ich mir die Nummer auf dem Display nicht näher ansah.
Was sich als unverzeihlicher Fehler herausstellen sollte.
»Gus«, schnurrte Helen in den Hörer. »Wie schön, dass du zuhause bist. Ich würde gern vorbeikommen, damit wir uns kurz unterhalten können. Was sagst du?
»Hm …«
»Perfekt!«, rief sie. »In einer halben Stunde bin ich da.«
Und so drang der Feind in mein Heim ein.
Kapitel 9
Zuerst dachte ich, ich würde mich in eine dieser blindwütigen Putzorgien hineinsteigern, wie man das nun mal so macht, wenn jemand nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder zu Besuch kommt. (Oder wenn plötzlich deine Mutter anruft, um zu verkünden, dass sie schnell mal vorbeischaut, aber das war wieder eine ganz andere Dimension der Panik.) Da wir mit achtzehn zusammengewohnt hatten, wusste Helen, dass mich Hausarbeit nicht sonderlich interessierte, um nicht zu sagen, dass ich manchmal ganz schön schlampig war. Zehn Jahre später hatte sich daran ehrlich gesagt nichts geändert, aber das spielte eigentlich keine Rolle. Sie durfte aufgrund meiner mangelnden Fähigkeiten im Haushalt bloß nicht auf die Idee kommen, dass ich mich in den letzten elf Jahren nicht weiterentwickelt hatte.
Denn daran hegte ich keinen Zweifel: Helen würde nur einen einzigen Blick auf die Staubmäuse werfen, die in den Ecken hausten, um sie mit den Schwächen und Fehlern gleichzustellen, von denen sie schon immer vermutet hatte, dass sie in den Tiefen meiner Seele lauerten. Jeder, der Simplify your life gelesen hatte, wusste, dass Staubmäuse eine Metapher waren. Ich war nicht bereit, Helen nur aufgrund meiner mangelnden Erfahrung mit dem Wischmopp einen Bericht über meine seelische Verfassung erstellen zu lassen.
Und es ging ja nicht nur um die Wohnung. Ich hatte bereits den Abend in einem königsblauen Beeren-Brautjungfernkleid in Gesellschaft all meiner Angstgegner verbracht (mit farblich abgestimmten Schuhen und Handtasche), jetzt fehlte mir gerade noch, dass Feindbild Nummer eins mich in frisch aufgestandenem Zustand zu Gesicht bekam. Es ging ja nicht nur darum, dass ich vermutlich ganz furchtbar aussah. Vor Helen schlecht auszusehen, wäre vielmehr ein Beweis dafür, dass Nate mich mit Recht für sie verlassen hatte. Dass ich es verdient hatte, weil ich nicht liebenswert war, sondern fett und hässlich.
Natürlich war das völlig krank. Willkommen in der neurotischen Erwachsenenwelt. Aber es war ja nicht so, dass ich damit allein dastand.
Jede Frau war schließlich von einem ganz spezifischen Körperteil besessen, das sie ihrer Meinung nach hässlich und nicht liebenswert machte. Die Frau möchte ich kennen lernen, die nicht tief in ihrem Inneren ihre ganz persönliche Schande verbirgt, fest in der Hand eines zwölf Jahre alten Kindes.
Georgia zum Beispiel hatte sich nie an ihrem Gewicht oder ihrer Kleidergröße gestört. Irgendwann hatte sie mir mal anvertraut, dass sie in ihrem ganzen Leben nicht in Klamotten unter Größe 40 gepasst hatte und ihr das völlig egal war. Sie liebte ihre klassischen Rundungen. Und dennoch hasste sie ihre Knöchel. Jahrelang zog sie keine kurzen Röcke an, aus Angst, die Leute könnten ihre Pferdefesseln bemerken und sich über sie lustig machen. Da konnte ich ihr noch so oft erzählen, dass ihre Gelenke völlig in Ordnung waren, sie trug nach Möglichkeit immer noch Schuhe mit Knöchelriemchen und hielt ihre Fußpartie für entstellt.
Amy Lee hingegen war völlig von ihren Hüften besessen. Die Tatsache, dass sie winzig war, Kleidergröße 34 trug und
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