Meine beste Feindin
ihr Bauch stets flach blieb, egal wie viel sie aß und wie wenig Sport sie trieb, fiel dagegen für sie kaum ins Gewicht. Die Tyrannei der Bikinimode war ihr stets Anlass zu Schimpftiraden, und die Frage, wie sie ihre Megahüften wegtrainieren konnte, ein immer wiederkehrendes Thema.
Obgleich auch ich meinen Hüften nicht wirklich über den Weg traute, war meine Problemzone ohne jede Frage der Bauch. Dieser Bauch, der sich auch bei noch so vielen Sit-ups und noch so wenigen Kohlehydraten standhaft weigerte, auch nur ansatzweise Muskeln zu entwickeln. (Was unweigerlich zu Phasen führte, in denen es in meinem Leben keine Sit-ups und nur noch Kohlehydrate gab, um den Schmerz zu lindern.) Was ich auch tat, der Bauch schlabberte über den Rand meiner ansonsten perfekt sitzenden, tief geschnittenen Jeans, rundlich und hartnäckig und ohne meine Anstrengungen irgendwie zu honorieren. Ich war davon überzeugt, dass mich dieser Bauch in eine Art Troll verwandelte. Dass er mich verunstaltete. Und den äußerlich sichtbaren Beweis dafür lieferte, dass ich nicht liebenswert war. Davon konnte mich auch niemand abbringen.
Helen wusste von dem Problem mit meinem Bauch. Sie war fähig, nur einen Blick auf mich zu werfen, den Bauch zu erspähen und ihn, also meine schlimmsten Ängste, gegen mich zu verwenden. Und was hatte ich gegen sie in der Hand? Sie hatte immer behauptet, sich von ihren Augenbrauen tyrannisiert zu fühlen. Ganz schön schwach, wenn ihr mich fragt. Augenbrauen konnte man bezähmen. Mein Bauch hingegen war unübersehbar.
Ein Blick in den Badezimmerspiegel bestätigte es: Ich sah aus wie die Meereshexe. (Nicht wie irgendeine Meereshexe - wie die Meereshexe.) Ich muss wohl kaum dazusagen, dass ich außerdem fett wirkte. Meine Haare standen in seltsamen geometrischen Formen vom Kopf ab, von meinen leicht verkaterten Augen ganz zu schweigen.
Und natürlich war Helen auf dem Weg hierher. Und natürlich würde von all den Menschen, die ich in Boston kannte, ausgerechnet sie dieses Hexenweib zu Gesicht bekommen.
Es war so ungerecht.
Also wirbelte ich etwa eine Viertelstunde wie ein putzender Derwisch durch meine Räumlichkeiten, wobei ich den Großteil meiner Besitztümer ins Schlafzimmer beförderte und die Tür zumachte, bevor ich den Konfliktherden mit Wischmopp und Allzweckreiniger zu Leibe rückte. Dann sprang ich unter die Dusche, wo ich die Luft anhielt und das Wasser so heiß stellte, wie ich es gerade noch verkraften konnte. Und dann einmal kalt. Und wieder heiß. Als ich aus meiner Wanne mit den Klauenfüßen stieg (eins von diesen uralten Dingern, die nur dann cool sind, wenn sie mit dem passenden, liebevoll restaurierten Landhaus einhergehen - ansonsten waren sie einfach nur alt und mussten mit einem an die Wand gebohrten Duschkopfhalter ergänzt werden), fror ein Teil von mir erbärmlich, und ein Teil schien sich Verbrühungen zugezogen zu haben, aber die Augenringe waren verschwunden.
Mir blieb gerade noch Zeit, meine Haare zusammenzubinden und eine Jeans sowie einen Pulli überzustreifen, die ich normalerweise nur zur Arbeit anziehen würde, von denen ich aber annahm, dass Naomi Watts sie vielleicht für ein Wochenende in rustikalem Ambiente in Erwägung ziehen würde. Ich legte noch schnell eine zweckdienliche Schicht Make-up auf, um das allzu gesunde Glühen nach der Dusche zu überdecken, und sortierte meine Zeitschriften gerade in strategisch sinnvolle Stapel - das intellektuelle Zeug zuoberst, die Ausgaben von US Weekly versteckt ganz nach unten -, als es klingelte.
Linus begann mit dem üblichen Affentheater, und ich überlegte, Helen einfach nicht reinzulassen. Sie konnte mich schließlich nicht dazu zwingen , ihr die Tür zu öffnen. Vielleicht war mein Wunsch, mit ihr zu sprechen, aber doch größer, als ich mir eingestehen wollte. Ich drückte den Summer.
Kurz darauf fegte Helen ins Zimmer. Sie schien einem Werbespot für die fesche Winterkollektion von Banana Republic entsprungen zu sein. Dünne Frauen sahen in bauschigen weißen Skiklamotten mit dicken Schals eben hinreißend aus. Nur wir Normalsterblichen wirkten darin, als hätten wir uns zu unserer fünffachen Körpergröße aufgeplustert, um für die Rolle von Michelin-Männchens Freundin vorzusprechen. Nicht etwa, dass ich so einen Mantel je getragen hätte. Ich versuchte, Helen ihren Anblick nicht übel zu nehmen, aber es gelang mir nicht.
Im Wohnzimmer angekommen tätschelte sie die oberste Spitze von Linus’ Kopf, woraus ich
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