Meine beste Feindin
Vielleicht schmückte ich seine Rolle sogar noch ein wenig aus. Zum Beispiel mit der Erwähnung des feixenden Grinsens und eines amüsierten Tonfalls. Möglicherweise deutete ich sogar an, dass ihm das ganze Spektakel großes Vergnügen bereitet hatte.
Und meine Freundinnen glaubten mir. Von jemandem, der Frauen wie am Fließband aufriss, glaubte man gerne, dass er es auch witzig fand, wenn sein Mitbewohner seine Freundin hinterging.
Nicht, dass Henry Farland der Typ war, der sich als Opfer fühlte. Schwer vorstellbar. Er tauchte auf der Geburtstagparty am Mittwoch nach jenem Abend auf und hatte sogar die Frechheit, sich darüber zu wundern, dass ich auf ihn wütend war.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte er, und in seinen Augen glitzerte noch etwas anderes als die übliche lässige Überlegenheit. »Ich bin doch nicht sein Butler. Ich muss nicht für ihn lügen. Ist es nicht sowieso besser, dass du es jetzt weißt?«
»Vielen Dank für deine Fürsorge«, knurrte ich. »Und vermutlich bist du so entrüstet über sein Verhalten, dass du ihm gesagt hast, er kann schon mal die Koffer packen, wie?«
»Gus …« Henry schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, dass Nate dich so behandelt hat. Ich meine, der Typ ist doch ein Arsch. Aber ich glaube kaum, dass ich ihn deshalb rausschmeißen kann.«
»Männer.« Ich starrte ihn an. »Das ist mal wieder typisch.«
»Und überhaupt«, sagte er. »Meinst du nicht, dass wir uns über etwas ganz anderes unterhalten müssen?«
»Darüber werden wir uns niemals unterhalten«, zischte ich.
Er blinzelte. »Wie bitte?«
»Es ist einfach nicht passiert«, verkündete ich.
»Doch, ist es.«
»Was ich nie im Leben zugebe würde, und du besser auch nicht!«
Mir war klar, dass ich jetzt gemein wurde. Aber das lag daran, dass mein Herz wild klopfte. Ich fühlte mich hilflos und wütend und irgendwie billig, wenn er nur erwähnte, was zwischen uns gelaufen war.
Er sah mich an.
»Versprich mir das!«
Er schüttelte den Kopf. »Na gut. Wie du willst.«
»Was ich will«, fauchte ich, »ist eine Welt, in der niemand auf so miese, grässliche Weise mit seiner Freundin Schluss macht. Und wo die Leute sich wie Erwachsene benehmen.«
»Oh«, sagte Henry und kniff die Augen zusammen. »Du meinst, eine Welt, in der die Leute plötzlich Sex mit Typen haben, die sie seit fast zehn Jahren kennen? Solche Erwachsenensachen?«
»Ich hasse dich«, brüllte ich und rannte davon.
Zirka zehn Tage später war ich sturzbetrunken und gab klassischen Rock zum Besten. Und wieder eine Woche später kehrte ich zum Tatort zurück. Das Einzige, was sich in der Zwischenzeit geändert hatte, war, dass ich Georgia und Amy Lee als Verstärkung im Schlepptau hatte. Da es um Henry ging, war es nicht besonders schwierig gewesen, sie aufzuhetzen.
Das hätte jeder andere doch auch so gemacht, dachte ich. In all den Jahren, die ich ihn schon kannte, hatte ich niemals irgendwelche romantischen Anwandlungen seinetwegen gehabt. Abgesehen davon, dass ich ihn auf eine aalglatte, blonde Art für extrem gut aussehend hielt, aber das war in etwa so, als würde man die Schönheit eines Sonnenuntergangs bemerken. Es war eben eine Tatsache. Und ich hatte während der langen Zeit, die Georgia von ihm besessen war, immerhin genug Gelegenheit gehabt, mir über meine Gefühle für Henry klar zu werden. Nachdem ich jahrelang auf all seinen Schwächen und Fehlern herumgeritten war, immer wieder betont hatte, dass er Georgia überhaupt nicht verdiente, und mich ob seines offensichtlichen Desinteresses für Frauen über 45 Kilo empört hatte, konnte ich schlecht zugeben, dass ich aus Versehen mit ihm ins Bett gegangen war. Ich würde gar nicht wissen, wie ich das Thema auch nur anschneiden sollte. Es war viel besser, einfach so zu tun, als sei es nie passiert.
Jack Daniel’s hatte für alles eine Antwort.
Abgesehen davon war da noch Nates merkwürdige Reaktion auf Henry. Irgendwas wurmte ihn an seinem Freund, ich glaube fast, dass er eifersüchtig war. Es wäre sehr unschön, wenn er die Sache jemals rausbekommen würde.
Erneut pfiff ein eisiger Wind, und ich rückte meinen Schal wieder zurecht. Linus schien die Kälte gar nicht zu bemerken, er tobte mit einem anderen Wesen unbekannter Rasse über die gefrorene Wiese. Der Himmel sah aus, als würde es bald schneien, so bedeckt und metallisch grau, was nur noch weiter zu meiner schlechten Laune beitrug. Es gab doch nichts Passenderes als einen New-England-Winter, wenn
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