Meine beste Feindin
genießbar waren.
Nach der Arbeit raste ich nach Hause und begann, Klamotten in eine Tasche zu stopfen. Jeans - das einzige Paar ohne Risse oder sichtbare Flicken, da meine Mutter ihren Standpunkt zu verschlissenen Kleidungsstücken bereits in den Achtzigern deutlich gemacht hatte. (Sagen wir einfach, es war keine Modeerscheinung, die ihr zugesagt hätte.) Ich legte einige Pullis dazu und suchte in den unheimlichen Tiefen meines Schrankes noch nach einem alten Paar Timberlake-Stiefeln, als es auch schon klingelte. Zu früh, wie immer.
Ein Stapel prallgefüllter Tüten geriet bei dieser Aktion gefährlich ins Wanken, so dass ich nur knapp dem Tod entrann, als ich auf die Beine sprang und durchs Wohnzimmer auf die Tür zusprintete.
»Ja?«, sagte ich und drückte, auf das Schlimmste gefasst, den »Hören«-Knopf.
»ICH STEH IM PARKVERBOT!«, bellte mein Vater in die Gegensprechanlage, so dass ich drei Schritte rückwärts machte. Er schien Gegensprechanlagen generell zu misstrauen, in meine brüllte er jedenfalls grundsätzlich. Ich wollte ihn auf keinen Fall zu lange warten lassen und so hastete ich die Treppe hinunter, sobald ich den Reißverschluss des Seesacks zubekommen hatte.
»Lass uns reden, wenn wir aus der Stadt raus sind«, sagte mein Vater nach dem obligatorischen Wangenkuss. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier für ein Verkehr herrscht. So wie ich das sehe, ist ganz Boston zugeparkt.« Er blickte den Hauseingang finster an. »Unglaublich, dass du noch immer hier wohnst.«
Er brachte die gleichen Sprüche wie jedes Mal, wenn er mich zu einer Familienfeier abholte, daher setzte ich ein Lächeln auf und schaute lieber nach draußen in die langsam hereinbrechende Nacht.
Ich beschloss, mich zu entspannen. Mit mäßigem Erfolg.
Während mein Vater mich durch Bostons Feiertagsverkehr kutschierte, dachte ich nach. Mal ganz abgesehen von der Wohnheimatmosphäre meines Apartments und dem Neid auf Georgias Garderobe, hatte ich doch eigentlich alles, was eine Frau auf der Schwelle zum dreißigsten Lebensjahr sich nur wünschen konnte. Ich lebte an einem Ort meiner Wahl, hatte einen Beruf, den ich liebte, die beiden besten Freundinnen der Welt, einen großen Bekanntenkreis, der mir viele Einladungen bescherte, und ein Liebesleben, das im Moment zwar ein wenig kompliziert daherkam, mit dem es aber aufwärtsging. Das hoffte ich zumindest. So wie ich das sah, war ich wieder auf dem richtigen Weg, um all das zu erlangen, was ich wollte.
Was ich leider nicht hatte, so überlegte ich, als ich mich an Thanksgiving auf der Couch meiner Eltern von einer Überdosis Bratensoße erholte, war eine Zeitmaschine, die mich direkt auf die nächste Party katapultierte.
Ich konnte es nicht erwarten, Nate zu sehen. Ich konnte es nicht erwarten, wieder mit ihm zusammen zu sein.
Und wenn es erstmal so wäre, würde ich vielleicht ein wenig in Helens Wohnung rumhängen und sie in unangenehme Gespräche verwickeln. Vielleicht würde ich sie auch in der Öffentlichkeit lächerlich machen, indem ich sie fremden Männern anbot und dabei andeutete, dass sie selbst nicht dazu fähig war, ein Date zu arrangieren. Vielleicht würde ich ihr sogar auf der Damentoilette nachstellen, und wenn sie mich dann fragte, warum ich so gemein zu ihr war, würde ich völlig verständnislos jammern, warum sie mich und meine Bedürfnisse nicht mehr unterstützte.
Sie hatte es wirklich verdient, und es würde mir ein Mordsvergnügen bereiten.
An dieser Stelle durchfuhr es mich plötzlich siedend heiß. Ich erinnerte mich wieder an den dunstigen Sonnenaufgang am Cadillac Mountain, als die Welt um uns noch dunkel und still war. In der Morgenkälte - die im Juni so frostig gewesen war, dass ich mir den Winter in Maine gar nicht erst vorstellen wollte - hatten wir uns kichernd aneinandergekuschelt. Es kam mir gar nicht wie meine eigene Erinnerung vor, eher wie ein Film, den ich irgendwann mal gesehen hatte. Diese Art von Film, der einem vermittelt, dass Freundschaften ewig halten, bis die entsprechenden Freundinnen als streitbare alte Damen gemeinsam auf einer Veranda sitzen. Niemals sollte eine solche Freundschaft wegen eines Mannes in die Brüche gehen. Noch nicht einmal wegen eines so strahlend schönen wie Nate Manning.
Ich rollte mich zusammen, zog die Decke bis ans Kinn hoch und blendete das Footballspiel und das Geschnatter meiner Mutter aus.
Helen war Cadillac Mountain egal gewesen. Also sollte ich mich auch nicht darum scheren. Sie
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