Meine beste Feindin
wir etwa plötzlich all die hunderttausend albernen Dinge vergessen, die sie in den letzten Jahren so zustande gebracht hatte und die wir hingenommen hatten, ohne uns derart aufzuführen? Wer hatte ihr denn das Recht gegeben, sich zur Richterin über uns aufzuschwingen?
Sobald ich erst angefangen hatte, mich über sie aufzuregen, konnte ich gar nicht mehr aufhören.
Ich schlug in Gedanken quasi blindwütig um mich.
Und was sollte das mit Georgia und ihrem »Ich kann nicht«? Die Tatsache, dass unsere beste Freundin uns beiden gerade den Laufpass gegeben hatte, hätte doch wohl ein wenig Solidarität heraufbeschwören sollen. Bei ihrer letzten Mistkerlkrise war ich ohne zu zögern an ihre Seite geeilt, und zwar um sechs Uhr morgens. Und ich war bereit gewesen, dort so lange zu verharren, wie es nötig sein sollte. Nur weil Amy Lee sich plötzlich zu gut für Freunde in der Not war, traf das noch lange nicht auf mich zu. Nur weil Amy Lee lieber da draußen in Somerville mit ihrem Haus , ihrer Praxis und ihrem Mann versauern wollte, hieß das noch lange nicht, dass ich nicht zur Verfügung stand, wenn Georgia mich brauchte. Warum wurde ich für Amy Lees Benehmen bestraft?
Außer natürlich, Georgia war wegen der Henry-Geschichte sauer. Und wenn dem so wäre? Dann war ich vielleicht diejenige, die nicht konnte . Ich würde es verstehen, wenn sie aufgebracht war. Immerhin hatte ich gelogen. Und deshalb war ich durchaus bereit, ein wenig Buße zu tun. Es stimmte schon, ich hätte von Anfang an alles so erzählen sollen, wie es sich zugetragen hatte, und mich nicht auf frischer Tat ertappen lassen. Aber es war ja auch nicht so, dass Georgia uns in letzter Zeit vor Henrys Tür hätte Wache schieben lassen. Soweit ich wusste, war sie schon seit etwa fünf Jahren über ihn hinweg. Würde sie wirklich unsere Freundschaft aufgrund einer niemals erfüllten, niemals erwiderten College-Schwärmerei aufs Spiel setzen?
Dann dachte ich über Henry nach. Endlich. Wenn auch zunächst widerwillig.
Für genau zwölf Sekunden fühlte ich mich gedemütigt. Aber dann dachte ich, dass er eigentlich zur Hölle fahren und sein »Ich denke nicht« gleich mitnehmen konnte. So ein Idiot. Er hatte da im Flur gestanden und mir Punkt für Punkt erklärt, warum es okay war, dass er auf mich stand, und dann, als ich ihn wirklich hätte brauchen können, da hatte er mich abserviert. Wenn das nicht repräsentativ für mein gesamtes Liebesleben war. Eigentlich konnte man es noch nicht einmal Liebesleben nennen - es war nur eine Aneinanderreihung von erbärmlichen Beziehungen oder, in früheren, peinlicheren Jahren, Schwärmereien, eine nach der anderen. Ich strebte nur nach Tragödien und Herzeleid - in Wirklichkeit gingen meine Beziehungen alle in unrühmlicher Gleichgültigkeit zu Ende.
Alle, bis auf die letzte, dachte ich. Ich rief mir immer wieder das entschuldigende Lächeln ins Gedächtnis, das Nate mir auf der Schlittenparty geschenkt hatte. Was bedeutete es? Entschuldigte er sich bei mir oder für Helen? Wieso hatte er mich in jener Nacht so oft angerufen und danach nie wieder? Hatte er auch nur die geringste Ahnung, dass ich eine beinahe übermenschliche Willenskraft aufbringen musste, um nicht augenblicklich zum Hörer zu greifen und ihn zur Rede zu stellen?
Ich wusste auch nicht, wie ich die Angelegenheit mit Henry einordnen sollte oder dieses Schema, das er zu erkennen glaubte. Aber es war mir egal. Ich war völlig ratlos, wenn ich an Amy Lee dachte. Wusste nicht, was ich mit Georgia machen sollte. Was Nate betraf, war die Lösung ganz einfach: Ich musste ihn nur daran erinnern, wie gern er mich hatte, und ihn dann aus Helens Klauen befreien. Alle Unklarheiten beseitigt, fertig, aus. Sitzen gelassene Freundinnen galten nur dann als psychotische Loser, wenn der Exfreund sich endgültig zu neuen Ufern aufgemacht hatte. Und das war bei sieben Mailboxnachrichten in einer Nacht ja wohl kaum der Fall.
Alle anderen können mich mal , dachte ich selbstgerecht. Es war alles viel zu verfahren, und ich hatte keine Ahnung, wo ich in diesem Durcheinander ansetzen sollte. Und außerdem ging es mir so alleine schließlich mehr als gut .
Kapitel 16
Ich musste schnell feststellen, dass der vor Feiern und Partys nur so brodelnde Advent in Boston nicht gerade die beste Zeit war, um ohne Freundinnen dazustehen.
Die Tage vergingen, und mein wallender Zorn verwandelte sich nach und nach in einen eher schwelenden Ärger. Nach der Arbeit verbrachte ich
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