Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich
hinwegzusehen, dass sie selbstbewusst, lässig und wunderschön war, fast zwanzig Zentimeter kleiner als ich und ungefähr zwanzig Kilo leichter. Außerdem studierte sie Jura. Ich fand, ich hatte es prima geschafft, mich nicht einschüchtern zu lassen.
Und doch, und doch … wollte Trevor nun den ganzen Weg nach Manhattan fahren, was etwa drei Stunden Autofahrt bedeutete, um mit mir essen zu gehen. Zum ersten Mal seit unserem wunderbaren, schrecklichen Wochenende vor dem Columbus Day wollte Trevor mich unter vier Augen treffen. Das hatte doch sicher etwas zu bedeuten. Er und Super-Hayden hatten sich bestimmt getrennt. Und Trevor wollte mir von Angesicht zu Angesicht gestehen, dass er unsere Trennung nie verwunden hatte. Dass wir jetzt erwachsen waren (ich war vierundzwanzig, er siebenundzwanzig) und nicht länger leugnen sollten, dass wir zusammengehörten. Immer mit der Ruhe, Chastity , warnte eine innere Stimme. Vergaloppier dich nicht. Du willst doch Journalistin werden! Warte erst einmal die Fakten ab. Ich hörte nicht auf sie. Ich rief auch nicht zu Hause an und erkundigte mich nach Neuigkeiten. Nicht mal Elaina rief ich an. Ich hatte Angst, es könnte Unglück bringen, wenn ich ihr von Trevors bevorstehendem Besuch erzählte. Dass dann noch ein Bruder mitkommen würde oder, schlimmer, ein Elternteil.
In meiner Begeisterung verprasste ich zwei Wochenlöhne bei Long Tall Sally’s , dem besten Laden der Stadt für übergroße Mädels wie mich, und kaufte ein Outfit, das lässig, interessant, selbstbewusst und unkonventionell wirken, gleichzeitig aber nicht zu aufdringlich darauf hinweisen sollte, wie gern ich mich ihm an den Hals werfen würde. Ich kaufte ein neues Paar leuchtend roter, halbhoher Sneakers. Ich ging zum Friseur und zur Maniküre. Ich fragte Freunde und Kollegen aus, was das beste Lokal für unser Treffen wäre – ein Ort, der ihm zeigte, dass ich mich in New York auskannte, der gemütlich, aber nicht schmuddelig war, ungezwungen, aber auch charmant, ein Insider-Lokal.
„McSorley’s?“, schlug ein Mitarbeiter vor.
„Zu kitschig“, sagte ich.
„Aquavit?“, meinte meine Chefin.
„Zu voll.“
„Gotham Bar & Grille?“
„Zu angesagt.“
Nach vier Tagen Recherche fand ich es endlich: ein kleines italienisches Restaurant im Village, in dem die Kellner gebrochen englisch sprachen und das Essen hervorragend war. Ich wusste, Trevor würde es gefallen. Es war ruhig, der Service unaufdringlich, und mit seiner Backsteinfassade, dem Holzboden und den kleinen Tischen an der Straße war es ungemein romantisch. Als musikalische Untermalung würde Tony Bennett erklingen. Unsere Knie würden sich berühren, wir würden einander in die Augen sehen, lachen, uns küssen. Oh Gott, wie ich ihn vermisst hatte! Seit dem Moment seines Anrufs hatte ich unser Wiedersehen permanent vor Augen. Wann immer meine innere Stimme mich warnte, nicht zu voreilig zu sein, sagte ich ihr, sie solle verdammt noch mal die Klappe halten und mich den Augenblick genießen lassen.
Als Trevor schließlich an der Tür meiner kleinen Wohnung klingelte, die ich bis in den hintersten Winkel geputzt hatte, zitterte ich am ganzen Körper. Endlich. Endlich würde ich wieder mit ihm zusammen sein, denn ich hatte nie einenanderen geliebt, so viel stand fest. Jedenfalls nicht so, wie ich Trevor liebte.
„Hallo, Chastity!“, sagte er und schloss mich in die Arme. „Du siehst toll aus! Wow. Und das ist ja richtig gemütlich hier!“ Er kam in unser winziges Wohnzimmer und begrüßte meine Mitbewohnerin Vita, die mir heimlich das Daumen-Hoch-Zeichen gab.
„Wir können ja nach dem Essen noch mal herkommen“, schlug ich wie beiläufig vor. „Hey, Vi, willst du mit uns zum Essen kommen?“ Wie im Vorfeld abgesprochen, lehnte sie dankend ab, da sie noch etwas für die Uni tun müsse und dann mit ihrem Freund verabredet sei.
Und so spazierten Trevor und ich durch die Straßen von Chelsea bis ins Village. Er war beeindruckt, wie gut ich mich auskannte, und schien richtig froh, mich zu sehen. Als ich ihn einmal beim Überqueren einer Straße am Arm fasste, zog er ihn danach nicht mehr weg.
„Es ist wirklich schön, dich zu sehen, Chas“, sagte er mit seinem tollen Lächeln. Mein Herz schlug höher. Merk dir alles ganz genau, sagte ich mir. Saug es in dich auf. Du wirst dich dein Leben lang an diesen Abend erinnern.
Und das tue ich auch, aber anders, als ich es wollte.
Wir kamen zum Restaurant, wo mich der Oberkellner, den ich drei
Weitere Kostenlose Bücher