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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Geschichte zu bringen. Immer passte irgendetwas nicht, immer wollte ein Detail der uns bekannten Ereignisse sich nicht in den Mechanismus derGeschichte fügen, entsprach etwas nicht seiner Funktion, wich von ihr ab oder sperrte sich gänzlich. Es war, als hätten beide Geschichten – die aus dem arabischen Buch und die von uns erlebte – denselben Ursprung gehabt, seien dann aber auf ihrem Weg durch die Träume von Generation zu Generation in unterschiedliche Richtungen gegangen, um schließlich Formen anzunehmen, die von völlig unterschiedlichen Inhalten kündeten. Hatten die Träume in ihrer endlosen Aneinanderreihung auf dem Weg von einem Träumer zum nächsten etwa Schaden genommen?
    »Ich habe den Eindruck«, sagte ich, »dass das alles anders hätte ablaufen sollen. Gleich von Anfang an. Schon seit Onkel Filips erstem Traum.«
    »Was wollt ihr?«, fragte Onkel Filip, der in diesem Moment in die Küche gekommen war, gerade rechtzeitig, um meine letzten Worte mitanzuhören. »Wollt ihr etwa, dass ich nach euren Vorgaben träume? Ha, das könnte euch so passen!« Und er ging türenschlagend hinaus.
    Der Kater Fjodor lag seiner winterlichen Gewohnheit gemäß am Ofen, der aber entgegen seiner Erwartung schon völlig erkaltet war. Er streckte sich und gähnte, als öde ihn das alles mittlerweile an.

D IE N ACHTDROSCHKE
    »Steigt niemals, wirklich niemals in eine Droschke ein, die in Mondnächten euren Weg kreuzt!« Das war eines jener merkwürdigen, unverständlichen Verbote, die uns Opa Simon an langweiligen Winterabenden aufzuerlegen pflegte. Dies geschah meistens vollkommen unvermittelt, und die Verbote selbst klangen oft geradezu widersinnig. Er ging dann auch immer schnell darüber hinweg – ganz so, als fände er sie selbst ungehörig und schämte sich ihrer.
    Ich hatte das Verbot schon wieder vergessen, als ich in einer Aprilnacht auf dem Rückweg von Klassenkameraden, mit denen ich gelernt hatte, der Droschke begegnete. In der engen Straße wirkte sie von fern wie ein riesiger schwarzer Schmetterling. Sie bewegte ihre großen Lederflügel, wackelte mit ihren seltsamen Verzierungen wie mit Fühlern und schepperte kaum hörbar. Es sah lustig aus, wie sie sich fortbewegte: Auf dem holprigen Straßenpflaster fuhr sie wie auf Eiern, wiegte sich ungelenk in den Hüften, rollte schwankend dahin. Die Straße war von grünlichem, kaltem Mondlicht übergossen. Alles war in Reichweite und doch nicht greifbar, alle Dinge waren durch ihre blassen Schatten verdoppelt und doch in ihrer Blässe eins mit ihnen. Die Luft war voller kleiner silbernerBläschen: Erste Frühlingselektrizität durchströmte sie und die kleinen säuerlichen Kügelchen des Kohlendioxids stiegen auf wie in einer gerade geöffneten Flasche Mineralwasser.
    Über und über von feinstem Mondstaub bedeckt kam die Droschke langsam näher. Ein Gesicht mit Schnauzbart beugte sich vom hohen Kutschbock zu mir herunter und nuschelnd sagte der Kutscher seinen Zauberspruch auf: »Wohin wünscht der junge Herr zu fahren?«
    Obwohl es schon spät war, kam mir der Gedanke, ich könne ja bei meiner Cousine Emilia vorbeischauen. Plötzlich erschien mir eine Kutschfahrt durch die Straßen voller Mondlicht in der schon schlummernden Stadt ausgesprochen verlockend. Die Droschke war noch nicht ganz zum Stehen gekommen, da hatte ich schon den Messinggriff gepackt und war eingestiegen. Im Halbdunkel des Fonds schimmerte der abplatzende Lack, es duftete nach Heu. Ich bemerkte, dass ich nicht allein war: In einem Winkel saß jemand. Aus einem hochgeschlagenen Pelzkragen drangen leises Lachen wie Mäusequieken und das Geraschel von Stanniolpapier. In die Sitzecke gekauert aß jemand Bonbons.
    Ich hustete ein paarmal, um zu unterstreichen, wie unangenehm meine Situation war, und sagte dann, wenn auch mit einer gewissen Verspätung: »Guten Abend.«
    Die Droschke fuhr unter einer Straßenlaterne hindurch und aus dem Pelzkragen tauchte ein verwuschelter Haarschopf auf. »Guten Abend«, erwiderte meine Cousine Emilia dort in der Ecke. »Ich habe vorzügliche Bonbons«, sagte sie und lachte wieder spitz und quiekend wie eine Maus. »Magst du?«
    Zuerst wollte ich sie fragen, was sie eigentlich so spät am Abend in einer Droschke zu suchen habe, überlegte es miraber dann doch anders. Sie hätte mich ja genauso gut das Gleiche fragen können. Und außerdem wäre ich gar nicht in der Lage gewesen, etwas zu sagen. Meine Cousine Emilia hatte nämlich sofort begonnen, mich mit

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