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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Bonbons zu füttern, mir den Mund mit ihren klebrigen Formen zu füllen, mich mit ihnen vollzustopfen. Sie wickelte das Stanniolpapier ausgesprochen geschickt auf, biss ein Stück vom Bonbon ab, um zu kosten, und steckte ihn mir dann in den Mund. Dabei nannte sie immer den Namen der Frucht, aus der die Füllung bestand.
    Draußen zogen in tiefen Schlaf versunkene Häuser mit vollkommen grünen Fassaden vorüber. Das Mondlicht lag glänzend darauf wie alter, verschlissener Futterstoff, wie ein Seidenkleid, das lange getragen und dann beiseitegelegt worden ist. Ganze Straßenzüge standen da wie unbrauchbare, vergessene Kleiderständer, als die Droschke mit uns beiden in der Obhut ihres Verdecks groß und ungeschlacht durch sie hindurchfuhr.
    Der Kutscher fragte nicht, wohin er fahren sollte: Die Droschke hielt auf ein ganz bestimmtes Ziel zu, bog überraschend ab, drang in unbekannte Stadtviertel vor, versank in Dunkelheit und tauchte gleich darauf wieder in den runden Lichtinseln unter den Straßenlaternen auf.
    Doch auf einmal kam sie unter einer Laterne langsam zum Stehen.
    »Na endlich«, sagte eine Stimme, und in der Türöffnung der Droschke erschien, überraschend groß, ein Kopf mit wirren weißen Haaren. »Ich bin der Advokat Antonio Zuzarte da Costa e Silva«, sagte der Unbekannte mit einem liebenswürdigen Lächeln. So ein Name war natürlich auch für einen Advokaten ungewöhnlich, aber er tat so, als wäre er sich dessennicht bewusst. Passend zu seinem Namen hatte er den Kopf eines Löwen, der gerade durch eine Baumwollmanufaktur gerannt ist: Überall an ihm hingen Federn, Haarbüschel und kleine Baumwollwölkchen. »Was für eine Nacht«, sagte er. »Ich störe doch nicht?«
    »Überhaupt nicht«, sagte ich, »machen Sie sich da mal keine Gedanken.« In einer solchen Nacht, so viel war mir klar, war es vollkommen logisch, dass jemand, der einen so langen und unmöglichen Namen trug, Advokat war und eine Droschke mit Fahrgästen mitten auf der Straße anhielt.
    Als hätte ich ihn damit ermutigt, machte es sich der Advokat auf dem Sitz bequem. »Ich habe es eilig«, sagte er plötzlich in einem offiziellen Tonfall. »Ein wichtiger Mandant erwartet mich im Hotel Lissabon. Hotel Lissabon!«, rief er dann lauter, damit ihn der Kutscher hörte. »Rasch!«
    Ich wollte ihm sagen, dass das Hotel Lissabon, wie in diesen Tagen aus der Lokalzeitung zu erfahren war, seinen Namen gerade in Hotel Fortschritt geändert hatte, aber ich schwieg. In einer solchen Nacht war das nur eine belanglose Kleinigkeit.
    Als antworte es auf den Zuruf, schlug das Pferd ungeduldig mit dem Schwanz gegen das Geländer des Kutschbocks. Ohne sich umzudrehen, knallte der Kutscher mit der Peitsche und die Droschke rumpelte schaukelnd und hüpfend über das holprige Pflaster. Über ihr flogen, die Dunkelheit wie blitzende Messer durchschneidend, Fledermäuse vorbei.
    Der Advokat Antonio Zuzarte da Costa e Silva schaute auf seine große Taschenuhr, schnippte mit den Fingern und rief unablässig: »Schneller, schneller!«
    Wie Schatten sausten die großen Kronen der Bäume rauschend über uns vorbei. Die Droschke rumpelte unterweit ausladenden Linden dahin. Alles an ihr klapperte und schepperte. Der alte, rissige Lack ächzte: Die ganze Droschke ähnelte einer betagten, verstimmten Ziehharmonika. Wir drinnen schaukelten wie an Deck eines Schiffes im Sturm hin und her. Der Kutscher saß unbeirrbar auf dem Bock. Er knallte mit der Peitsche durch die grüne Luft, rief dem Pferd etwas zu, ließ die Zügel knallen, und die Droschke raste durch die grüne, scheel blickende, unruhige Nacht.
    »Hoppla«, rief der Advokat Antonio Zuzarte da Costa  e Silva, wann immer ein Rad gegen einen größeren Stein schlug, und wie auf Kommando hielten wir uns an den Messinggriffen fest.
    »Schneller«, rief der Advokat, dessen Stimmung immer besser zu werden schien. Im Mondlicht schimmerte sein weißes Haar grünlich. Er rieb sich die Hände, zwinkerte meiner Cousine Emilia zu und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter, als verspreche er mir unbekannte und verbotene Genüsse, die uns am Ziel unserer Fahrt erwarteten. »Was werden wir für einen Spaß haben!«, murmelte er und lachte zufrieden. Den Mandanten, der ihn zu dieser ungewöhnlichen Nachtzeit im Hotel erwartete, schien er vergessen zu haben.
    Hin und wieder warf ich einen Blick nach draußen und versuchte, mich zu orientieren. Aber dort glitten unbekannte Straßen vorbei, Häuser mit seltsamen

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