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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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ihres Kragens auf, doch dann flogen über den Rosenblättern, die glänzten, als wären sie aus Wachs, wieder nur Fledermäuse dahin.
    Vor unserer Haustür wollte ich den Kutscher bezahlen. »Das geht alles auf Rechnung des Hotels Lissabon«, rief er und knallte mit der Peitsche. Ich schlüpfte ins Haus. In den Fluren hörte man das Schnarchen eines Onkels, eine Tante murmelte im Schlaf. Aus meinem Zimmerfenster waren der im Mondlicht funkelnde Garten und darüber die gewaltige grüne Nacht zu sehen. Als ich einschlief, glaubte ich in der Ferne noch immer das Dröhnen der Droschke auf dem Straßenpflaster zu hören.
    ***
    Am nächsten Morgen sah ich auf dem Weg zur Schule, wie Arbeiter über dem Hoteleingang den neuen Namenszug anbrachten: Hotel Fortschritt. Die vergangene Nacht war die letzte gewesen, in der ein Hotel namens Lissabon existiert hatte. Es schien, als wäre dieser Name einer fernen Stadt damit für immer aus unserem Leben verschwunden, als wäre er von den Landkarten unserer Nächte gewischt worden. Doch dem war nicht so.
    Etwa zehn Tage später bekam Opa Simon einen Brief in einem dicken gelben Umschlag. Auf dem Umschlag klebte eine große Marke mit dem Bild eines Würdenträgers in Samtrobe und Spitzenkragen.
    Auf dem Stempel ließen sich Buchstaben erkennen: Lissabon. Opa Simon zog sich in sein Zimmer zurück und blätterte lange in dem Atlas, den Gesetzbüchern zu internationalemRecht, den Preisverzeichnissen der Eisenbahn und dem portugiesisch-griechischen Wörterbuch aus der Stadtbücherei.
    Verstimmt und besorgt murmelte er Unverständliches vor sich hin, zählte etwas an den Fingern ab und schnaubte durch die Nase.
    Eines Abends war mir dann, als hörte ich wieder die Droschke. Im Hof, ganz nah bei meinem Fenster, wieherte das Pferd, rasselte das Geschirr, knarzte der Lack des Verdecks. Im Haus waren Schritte zu hören, jemand ging auf und ab, die Tanten weinten.
    Ein paar Tage lang wurden in Opa Simons Zimmer große Kisten zusammengenagelt. Opa kam nur selten heraus. Einmal sah er meine Cousine Emilia und mich im Vorbeigehen an und sagte: »Was ich wegen eurer Dummheiten alles tun muss!«
    Ein anderes Mal hörte ich, wie er schimpfend meinen Namen nannte und meinte: »So ist das, wenn man nicht auf meinen Rat hört!«
    Die weinenden Tanten wiederholten ständig: »Das wird uns ruinieren!«
    Einmal gelang es mir, einen Blick in eine der Kisten zu werfen: In Hobelspäne und Heu gebettet lagen da die Laternen der Droschke, ihre Messingverzierungen und Metallteile und das schwarz lackierte Verdeck, das an eine Ziehharmonika erinnerte.
    Auf der Kiste stand in großen Buchstaben der Name der Stadt, in die sie verschickt werden sollte: Lissabon. Und kleiner darunter stand der Name des Advokaten Antonio Zuzarte da Costa e Silva.
    In Einzelteile zerlegt, reiste die Droschke also, warum auchimmer – infolge eines für uns natürlich unverständlichen Geschäfts, als Schadensersatz oder Begleichung einer Schuld, als Sonderprovision oder als Strafzahlung? –, nach Lissabon.
    Vielleicht taucht sie in dieser fernen Stadt noch immer unverhofft an den Straßenecken auf und lädt die Vorübergehenden ein, mit ihr durch eine unglaubliche Mondnacht zu gleiten?

D AS H OTEL L ISSABON
    Das später in Hotel Fortschritt umbenannte Hotel Lissabon war ein regelmäßiges Ziel unserer Streifzüge. Ein einziger Blick durch die gewaltigen, dunkelgrünen Wolken der städtischen Linden auf seine graue Fassade genügte, und schon überkam uns eine eigenartige Erregung. Diese Fassade war das Lebenswerk eines Sonderlings mit wirren Architekturkenntnissen und einem Hang zur Verschwendung: Da hingen schwere Rosengirlanden, entleerten sich Füllhörner, neigten sich Körbe voller Obst. Auf dem grauen Mörtel des Schmuckwerks hatten sich mit den Jahren feiner Sommerstaub und verkrusteter Taubenkot abgelagert. Über der Tür hingen Schilder längst nicht mehr bestehender Versicherungsanstalten, und oben, auf der Balustrade der Dachterrasse, auf die niemals jemand hinaustrat, reihten sich Skulpturen von Männern und Frauen in opulenten Kleidern und feierlichen Posen.
    Oft starrte meine Cousine Emilia hinauf und wiederholte dann: »Ach, wenn ich doch nur eine Nacht dort verbringen könnte!« Dabei trat immer der abwesende Ausdruck von Träumenden auf ihr Gesicht. »Du bist verrückt«, sagte ich. »Du bist vollkommen verrückt. Du hast ja keine Ahnung, was sich dort alles abspielt.«
    Über das Hotel waren in der Stadt unglaubliche

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