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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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dunklen und gutturalen Schreie aus, die tief in seinem Körper entstanden und abrupt abbrachen, wenn sie nach draußen gelangten. In seinem Schrei lag etwas zwischen Bitte und Vorwurf, zwischen Überraschung und Kränkung.
    Ohne ihn weiter zu beachten, führte uns der Portier über die Treppe und durch die Korridore des Hotels. Er versuchte, den schlechten Eindruck, den er durch die Gesellschaft, in der er von uns ertappt worden war, hinterlassen haben mochte, um jeden Preis wettzumachen. Seine Bewegungen wirkten gekünstelt und übertrieben: Er wedelte mit den Händen, um uns auf eine gefährlich weit vorragende Ecke aufmerksam zumachen, ging auf Zehenspitzen, um uns zu bedeuten, dass wir leise sein sollten, und spreizte bei leicht angehobenem Ellenbogen die Finger der linken Hand ab, als wolle er uns auf ein besonders schönes Detail der Hoteleinrichtung hinweisen. Mein Opa verfolgte diese Bewegungen mit offensichtlichem Missfallen, er runzelte die Stirn, wandte sich ab und wischte sich mit einem weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
    »Ungeheuerlich«, sagte er, als wir schon im Bett lagen. »Das ist ungeheuerlich. Zu meiner Zeit haben Portiers keine Melonen von den Stadtverrückten angenommen.«
    Ich lauschte seinem verdrießlichen Gemurmel und schlief darüber ein.
    Als ich aufwachte, stand mitten im Fenster ein gewaltiger roter Mond. In der Luft hing der Duft von Wassermelonen. Mein Opa lag nicht in seinem Bett.
    Verwirrt und beunruhigt setzte ich mich auf. Ohne mich zu rühren, wartete ich ein paar Minuten ab und stand dann auf. Im Zimmer war es taghell, nur die Schatten waren von einer tiefvioletten Dichte, wie die Schatten von Gräsern am Grunde eines Flusses.
    Ich zog mich an, allerdings ohne in die Schuhe zu schlüpfen. Jemand schien durch den Korridor zu gehen. Als ich annahm, derjenige sei vorüber, glitt ich hinaus.
    Es war niemand zu sehen. Die langen Bahnen der Teppiche erstreckten sich in die Ferne wie Wege, denen man folgen sollte. Ich ging bis zur nächsten Ecke und dann weiter zur nächsten. Der Gang schlängelte sich in unerwartete Richtungen, verzweigte sich, führte einige Stufen nach unten, dann wieder hinauf. Von außen sah das Hotel ziemlich klein aus, aberhier drinnen hatte es sich in einen unübersichtlichen Bau verwandelt, in ein unbegreifliches Wirrwarr aus Durchgängen und Treppen.
    Es machte mir Spaß, mit bloßen Füßen auf dem weichen Teppich lautlos durch die vollkommen stillen Korridore zu laufen. Der Mond zeigte sich mal von links, mal von rechts, seine blassgelben Streifen strichen über die Wände und den Fußboden. Bevor ich auf sie trat, berührte ich sie vorsichtig mit den Zehenspitzen, wobei ich ständig darauf gefasst war, ihre Kälte auf der Haut zu spüren. Ich bewegte mich langsam durch das große, von leuchtender, unermesslicher Stille erfüllte Haus wie durch das riesige, verschlungene Gehäuse einer längst ausgestorbenen Schneckenart. Dass ich eigentlich losgegangen war, um meinen Opa zu suchen, hatte ich vergessen. Jetzt lockte mich das Haus selbst – die Anordnung seiner Korridore, die ganze irritierende Konstruktion. Durch die Zimmertüren drangen gedämpfte Geräusche. Schwer lasteten die Unterwasserträume auf den Schläfern, sie tauchten in die Tiefen der Laken ein und schwammen hin und wieder nach oben, um röchelnd wie Ertrinkende nach Luft zu schnappen.
    Ich lauschte ihren sinnlosen Selbstgesprächen und endlosen Klagen und fand mich am Ende eines Korridors plötzlich vor einer Glastür wieder, die auf eine der Seitenstraßen rund um das Hotel führte. Dort stand Muto. Er hielt die großen Messinggriffe umklammert und starrte mit riesigen, blutunterlaufenen Augen und halb geöffnetem Mund herein. Als er mich entdeckte, schaute er mich sehnsüchtig an, brabbelte etwas, das wie eine Bitte klang, und deutete auf den Türgriff: Er wollte, dass ich ihn einließ. Einen Augenblick lang stand ich wie erstarrt da, dann wich ich zurück. Muto bemerkte,dass ich mich entfernte. Er schrie verzweifelt auf und begann, mit aller Kraft an den Türgriffen zu rütteln.
    Ich rannte zurück. Doch ich irrte mich in den Korridoren, geriet an Abzweigungen ins Zweifeln, kehrte immer wieder um. Die Gänge sahen alle gleich aus, und panisch stellte ich fest, dass die Verzierungen, an denen ich mich orientiert hatte, überall dieselben waren. Und schließlich, als ich so blindlings durch die dunklen, nur hin und wieder in großen, leuchtenden Quadraten vom Mondlicht

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