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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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zugleich. Der Kater Fjodor musterte sie, als erkennte er sie nicht wieder. Der Familienrat dauerte nur kurz. Es wurde beschlossen, dass ich Emilia begleiten und zurückkommen sollte, sowie ich sie zu Hause abgeliefert hätte.
    Kaum waren wir vor der Tür, packte uns der Nebel wie eine Urgewalt: Wir liefen durch ihn hindurch wie Antarktisforscher, die sich in der Schneewüste verirrt haben. Die Nebelschwaden wälzten sich übereinander, quetschten sich zusammen, verdichteten sich. Als gingen wir durch einen gewaltigenKessel, der stumm vor sich hin köchelte; um uns herum vollzogen sich wundersame Veränderungen wie in dem Reagenzglas eines Alchemisten. Schwefelgelbe Schwaden krochen über den Boden, Kupferoxide verströmten grünen Rauch, Quecksilberdämpfe stiegen auf. Wir hielten uns an den Händen: Wir landeten als erste Raumfahrer auf einem Planeten, der gerade aus Magma entstand.
    Es war unklar, ob es die Stadt um uns herum überhaupt noch gab. Hie und da war der Teil eines Wohnblocks über uns zu erkennen, eine graue und feuchte Mauer tauchte vor uns auf oder die große Qualle einer Straßenlaterne schwamm in den oberen Schichten des Universums über unseren Köpfen vorbei. Das waren Relikte einer untergegangenen Welt, Bruchstücke eines verschollenen Atlantis. Der Nebel verschluckte die Stadt wie ein lautloses Meer aus Watte.
    Meine Cousine Emilia drückte meine Hand. »Ich habe keine Ahnung, wo wir eigentlich sind«, wisperte sie. Ihr blasses Gesicht verzog sich, ihre Lippen zitterten. »Wo sind wir denn nur?«
    Und wie ein Echo auf ihre Worte meldete sich das Schiff. Irgendwo vor uns im Nebel ließ sich sein Horn vernehmen: In seinem Klang lag etwas Magnetisches, Violettes, furchtbar Verlockendes. Seine tiefen Töne erschütterten das Zwerchfell und uns wurde übel; es war, als trieben wir bereits auf die offene See hinaus.
    Wir konnten nicht genau ausmachen, woher der Klang kam. Manchmal schien es, als käme er ganz aus der Nähe, hinter den Häusern hervor, aus der nächsten Straße. Dann entfernte er sich wieder, als führe das Schiff davon. Beim nächsten Mal schien der Klang dann aus einer anderen Richtungzu kommen, jetzt wieder in unbestimmter Entfernung. Das Schiff tutete tief, mit einer vollen, rauen, heiseren Stimme.
    Wir blieben stehen und lauschten. Plötzlich vernahmen wir hinter uns Schritte. Ihr Klang war uns vertraut: Zwischen zwei schlurfenden Schritten hörte man noch ein klirrendes, helles, metallisches Geräusch – Opa Simons Stock prüfte die Unebenheiten des Weges. Ich konnte Emilia gerade noch zur Seite ziehen, als Opa Simon schon aus dem Nebel auftauchte. Er eilte irgendwohin, gebeugt, mit den zusammengefalteten Landkarten unter dem Arm. Wir drückten uns in die Höhlung eines Tors und ließen ihn vorbeigehen.
    Dann liefen wir ohne ein Wort, ja sogar ohne einander anzublicken hinter ihm her. Er ging unbeirrt – er schien den Weg gut zu kennen –, so wie ein Mann geht, der eine feste Absicht und ein klares Ziel hat.
    »Er weiß, wo das Schiff ist«, flüsterte Emilia. »Pssst«, zischte ich. Als ob er etwas gehört hätte, blieb Opa Simon stehen. Wir hielten den Atem an. Dann nahm er seinen Weg wieder auf. Die Metallspitze des Stocks klopfte bedächtig auf die Pflastersteine. Einander an den Händen haltend folgten wir dem Geräusch durch den Nebel.
    Das Haus, das Opa Simon betrat, kannten wir nicht. Wir warteten, bis seine Schritte auf der Treppe verhallt waren, und traten in den Vorderflur. Er war kalt und ungepflegt, überall lag trockenes Laub herum, das der Wind schon im vergangenen Monat hierhergetrieben hatte. Von den schmutzigen Wänden blätterte der Putz ab. Nirgendwo gab es eine Tafel, der man hätte entnehmen können, ob es sich um eine Behörde, eine Gesellschaft oder einen Klub handelte. Gerade alswir uns auf die Treppe zu bewegten, ließen sich von draußen Schritte vernehmen. Jemand kam näher. Ich sah mich um: Am Ende des Flurs war eine Tür. Die Schritte hielten vor dem Hauseingang kurz inne und wir hörten Stimmen. Jemand schien gleich hereinkommen zu wollen. Ich öffnete die Tür und wir schlüpften in das Halbdunkel. Dort war es eng, und wir konnten nur mit knapper Not die Tür schließen. Es handelte sich um eine Art Rumpelkammer, ein Kabuff, in dem vermutlich die Putzfrauen ihre Gerätschaften abstellten, ein vergessener Ort, wie es ihn in allen alten Häusern gab. Spinnweben legten sich über unsere Gesichter, und wir standen da und warteten darauf, dass sich

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