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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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ich lauschte, hörte ich eine Tür knarren. Ich sprang erschrocken zurück, doch es war eine andere Tür gewesen, auf der anderen Seite des Treppenabsatzes. Emilia hatte sie geöffnet. In früheren Zeiten war sie offensichtlich ein sogenannter Dienstboteneingang gewesen; sie war unauffällig, schmal, im Dämmerlicht kaum zu erkennen. Meine Cousine Emilia war schon dahinter verschwunden, ich sah nur noch ihre Hand, sie gab mir ein Zeichen, ihr zu folgen, mich zu beeilen, achtzugeben, nicht wie angewurzelt da herumzustehen. Innen herrschte Halbdunkel. Wieder (heute schon zum zweiten Mal) waren wir in eine Art Rumpelkammer geraten, in einen Raum, der dazu diente, überflüssige Gegenstände zu beherbergen. Einen Augenblick lang waren wir von der Dunkelheit blind, aber als wir uns daran gewöhnt hatten, entdeckten wir an den Wänden zahlreiche Rettungsringe. Eben erst hatten wir unten einen einzelnen gesehen, gewissermaßen wie eine Ankündigung, und jetzt umgab uns eine ganze Sammlung, ein riesiges Lager von schönen, glänzenden, neuen Rettungsringen, als befänden wir uns auf einem Ozeandampfer. Auf dem Boden lagen zwischen dicken, aufgerollten Tauen Leinwandbahnen, Signalfähnchen, sogar einige Ruder. Wir zwängten uns zwischen dem aufgehäuften Kram hindurch, durchquerten einen kleinen Flur, öffneten ein paar Türen. Die Stimmen wurden leiser. Zweifellos waren wir in einen zurückgesetzten und abgelegenen Gebäudeteil vorgedrungen.
    An den Wänden entlang verliefen zierliche Geländer aus dunklem Holz, daneben waren aus unerfindlichen Gründen kleine Messingteile angebracht, zahlreiche Haken und Halterungen.Staunend gingen wir weiter, auf Zehenspitzen, als müssten wir aufpassen, niemanden aufzuwecken. Und dann blitzten in einem Zimmer die Instrumente auf: große Kompasse, Quadranten, Sextanten und Barometer. An den Wänden waren Karten unbekannter Inseln befestigt. Eine riesige Schiffsglocke hing von der Decke. Alles war blitzblank poliert und schimmerte mit warmem Glanz. Die violett glänzende Magnetnadel eines großen Kompasses zitterte leicht. Um sie herum breitete sich die Windrose mit ihren zweiunddreißig Zacken aus. Mit ausgestreckten Armen ging meine Cousine Emilia auf diesen blitzenden Schatz aus poliertem Messing zu.
    »Fass das nicht an!«, flüsterte ich entsetzt. »Fass bloß nichts an.« Doch es war zu spät. Sie hatte sich bereits über das Pult gebeugt, auf dem ausgebreitet große Atlanten mit Karten von fernen Meeren lagen, tiefblaue Abbildungen des Sternenhimmels, Bücher mit langen Zahlenreihen, die das Verhältnis von geografischer Länge und Breite zum Stand der Gestirne bezeichneten. Sie hatte ihr Täschchen aus den wie zu einem Panzerhemd gefügten Silberkettchen abgelegt und blätterte in den Karten, brachte sie durcheinander und faltete sie aufs Geratewohl wieder zusammen. Mit Bleistift waren auf den Karten kaum sichtbar Fahrtrouten eingetragen worden, außerdem Entfernungsangaben und Daten. Einige Stellen waren eingekringelt, neben anderen standen knappe Bemerkungen in einer nur sehr schwer zu entziffernden Handschrift.
    Aus der Ferne waren Stimmen zu hören, irgendwo schien sich eine Tür zu öffnen. »Hör mal«, sagte ich und fasste meine Cousine Emilia an der Hand. Sie wehrte meine Hand nicht ab, und so vereint lauschten wir gemeinsam mit angehaltenemAtem. Die Stimmen verstummten, doch nun hörten wir etwas anderes: Durch das ganze Haus lief ein permanentes, kaum wahrnehmbares Geräusch, ein schwaches Brummen, das kaum hörbare katzenartige Schnurren eines großen Motors. Erst jetzt merkten wir, dass davon das ganze Zimmer zitterte. In jedem Gegenstand, den wir anfassten, spürten wir diese unterschwelligen, kitzelnden, ein bisschen nervösen Schwingungen. Ob Metall, Glas oder Papier – alles verriet bei der Berührung mit unseren Fingern seine Verbundenheit mit dem kraftvollen, unverständlichen Pulsieren, das von irgendwo ganz unten im Haus kam.
    Plötzlich drangen durch das leise Brummen der Zahnräder und Antriebsritzel Stimmen, sie wurden immer deutlicher, und dann waren Schritte zu hören. Kein Zweifel – jemand näherte sich. »Schnell«, sagte ich und zog meine Cousine Emilia am Arm. Wir sahen uns zwei Türen gegenüber, eine neben der anderen, beide gleich. Durch welche waren wir nur gekommen? Doch es blieb keine Zeit zum Überlegen: Die Schritte waren schon ganz deutlich zu hören. Ich lief zur rechten Tür. »Die linke«, sagte meine Cousine Emilia, und wir schlüpften

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