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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Katalog, auf der diese Marken abgebildet waren. Kein Land sonst auf der Welt hatte dreieckige Briefmarken. »Dieses Land gibt es nicht mehr«, mischte sich Opa Simon ein. »Es wurde an Russland angegliedert.« Er verfolgte aufmerksam die Radionachrichten und vermerkte das Entstehen und Verschwinden von Staaten in seinen Atlanten.
    Der Krieg ging zu Ende, doch Emilias Eltern tauchten nicht auf.
    Übrigens war es durchaus wahrscheinlich, dass niemand auf sie wartete. Emilia war Teil des engsten Familienkreises geworden, ohne sie erschien das Haus leer, sie nahm an allen Familientreffen teil und war in jede Intrige, jede kleine Verschwörung und jeden Tratsch verwickelt, die das Leben der Familie im weiteren Sinne ausmachten. In Opa Simons Haus hatte sie ein eigenes Zimmer. Hin und wieder wohnte sie eine Zeit lang bei einer der Tanten, doch auch dann kam sie jeden Tag zu Opa Simon.
    »Trinidad«, sagte ich, wenn ich sie durch die Küchentürkommen sah, während ich die Briefmarken ins Album einsortierte. »Trinidad und Tobago«, nahm sie das Losungswort auf. Sie schüttelte den Schnee aus dem Haar, blies in ihre geröteten Hände und putzte sich die tropfende Nase. Der Schnee an ihren Schuhen schmolz und bildete eine kleine Pfütze auf dem Küchenboden. Die Tanten stellten schnell den Wasserkessel auf. Wir schälten Äpfel und legten die Schalen auf den glühend heißen Ofen.
    Die Erwachsenen waren in ihre Gespräche über Politik vertieft und achteten nicht auf uns. »Eines Tages werde ich fortgehen müssen«, sagte meine Cousine Emilia nachdenklich. »Ich werde dorthin zurück müssen, woher ich komme. Wirst du dann traurig sein?«, fragte sie und kitzelte mich mit einer Haarsträhne im Gesicht. »Wirst du mich vermissen, wenigstens ein bisschen, oder wirst du mich vergessen?«
    »Du wirst mir doch schreiben«, antwortete ich befangen, ohne sagen zu können, warum ich ihre Geschichte überhaupt als glaubhaft hinnahm, »du wirst mir doch lange Briefe schreiben, oder?« »Ich werde dir dreieckige Marken schicken«, sagte sie. »Ich werde viele dreieckige Marken auf den Brief kleben. Woher kommen diese Marken noch einmal?«
    »Aus Tuwa«, sagte ich.
    »Dieses Land gibt es nicht mehr«, schaltete sich Opa Simon ein, der unser Gespräch belauscht hatte. »Ich habe euch doch gesagt, dass es an Russland angegliedert worden ist.«
    »Ich werde dir trotzdem dreieckige Marken aus Tuwa schicken«, sagte meine Cousine Emilia. »Ich werde es nicht vergessen.«
    Der Winter kam in die Mauser: Auf dem Schnee im Hof lagen Fasern von den Teppichen, die die Tanten auf seinembereits nicht mehr so tadellosen Weiß ausgebreitet und ausgeklopft hatten. Alles hatte seine Farbe verloren, war verschlissen und schmutzig. Während die Dachtraufen panisch die letzten Stunden des Winters abzählten, drang Zugluft ins Haus, die Küche leerte sich, der Kreis der Familie rund um den Ofen löste sich auf. Emilia zog sich in ein Zimmer zurück, in dem sie allein sein konnte, betrachtete Fotografien aus früheren Zeiten, las alte Briefe und blätterte in den Poesiealben der Tanten. Es war Post aus dem Ausland an ihre Adresse gekommen und sie ließ sich im Rathaus irgendwelche Dokumente ausstellen. Im Haus taten alle so, als bemerkten sie nichts; Opa Simon schwieg, wirkte aber beleidigt, und die Tanten hatten rotgeweinte Augen.
    Eines Nachmittags kam sie in die Küche, in der ich alleine saß und Briefmarken in das Album einsortierte.
    »Melele-Mbembe«, sagte sie statt eines Grußes.
    »So einen Ort gibt es nicht«, antwortete ich.
    Emilia wurde unsicher. »Irgendwo habe ich diesen Namen gehört«, meinte sie.
    »Ich habe so einen Namen noch in keinem einzigen Atlas gesehen«, sagte ich mürrisch.
    »Trotzdem, irgendwo muss es ihn ja geben«, versuchte Emilia einzulenken. Dann trat sie ans Fenster, und es sah so aus, aus sei sie äußerst interessiert an dem, was im Hof vor sich ging. Doch als ich den Kopf von den Briefmarken hob, sah ich, dass ihre Schultern kaum merklich zuckten.
    In der Küche war es ganz still. Mir fiel auf, dass es nicht mehr von den Dachtraufen tropfte.
    Emilia drehte sich mit tränennassem Gesicht zu mir um und sagte: »Ich gehe nach Israel. Dort habe ich Verwandte.Ein paar von meiner Familie haben trotz allem überlebt. Sie haben mir geschrieben, dass ich zu ihnen kommen soll.«
    Dann stürzte sie aus der Küche. Ich hörte ihre Schritte auf der Treppe hallen, eine Tür wurde geöffnet und geschlossen, dann noch

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