Meine Frau will einen Garten
Lieblingsbuch meiner Tochter heißt »Warum wir vor der Stadt wohnen«. Es ist ein schönes Buch, das unter anderem von einem Vater handelt, der, und das ist ja schon mal sehr sympathisch, gern Zeitung liest. Nur hat er keine Zeit dazu. Denn die Familie muss dauernd umziehen.
Erst lebt sie mitten in der Stadt, dann auf dem Dach der Kirche, dann im Hotel, dann im Kino - und endlich auch in einem Haus vor der Stadt, das auf einer Blumenwiese steht. »Seit wir vor der Stadt wohnen«, heißt es auf der letzten Seite, »geht es uns immer besser.«
»Vorstadtbuch«, sage ich verächtlich und räume es nach ganz hinten ins Kinderbuchregal. Seltsamerweise taucht es immer irgendwo auf in unserer Wohnung. Ich habe Pia, Max und Julia in Verdacht. Anton vielleicht nicht. Mir Bücher unterzuschieben: Das wäre ihm zu hektisch, so als Aktion.
Das Buch ist ein Vorstadtbuch. Ich mag es nicht. Mein Leben ist der Innenstadt gewidmet. Ich liebe Häuserschluchten und Mietwohnungen und sogar zu
kleine Balkone und zu kleine Briefkästen in zu dunklen Hausfluren. Den Typen mit der merkwürdigen Musik im zweiten Stock liebe ich nicht. Aber dafür trotz allem die kreischende Tram.
»Wenn wir vor der Stadt wohnen«, sagt Julia, »geht es …«
»Was hast du gesagt?« Ich muss das fragen, die Straßenbahn ist gerade unterwegs.
»… uns immer besser«, vollendet Julia, »dann kriegen wir einen Garten und sogar fast eine Blumenwiese.«
Wie kann sie mit ihren neun Jahren schon die ideale Werbebotschafterin für Bausparkassen und Gartencenter sein? Sind wir uns schon so fremd? Warum sagt sie nicht mal, wie toll es ist, mitten in der Stadt zu leben? Wie multikulturell. Wie anregend. Sie sagt, und Pia stimmt mit ein jetzt: »Ich will einen Garten.« Sie lachen. Max gluckst dazu und fegt mit seinem Plastikschwert einen Teller Nudeln vom Tisch. Nur Anton und ich sind schweigsam.
Wenn wir aufs Land fahren, lebt Julia auf. Dann kommen wir an winzigen Vorortgärten mit Plastikrutschbahnen vorbei, die so depressiv aussehen, dass man sich sofort umbringen oder in die Stadt ziehen will. Meine Tochter fragt, ob die Leute, die dort wohnen, reich sind. »Warum das denn?« - »Weil die einen Garten haben.« Was mache ich falsch?
Einmal hat uns unsere Tochter ein Bild gemalt. Darauf
ist ein kleines blondes Mädchen zu sehen, das in der Hängematte zwischen zwei Bäumen liegt. Das Bild heißt »Garten«. Die Sonne strahlt, die Wolken wolken. Ein anderes Mal hat sie sich ein Bierdeckelhaus gebaut, das auf einem Stück Kunststoffrasen steht. Das Werk heißt »Garten«. Früher, als sie noch klein war, zog sie immer eine Schnur im Flur hinter sich her und erzählte, dass sie mit dem Hündchen spazieren gehe. Das Spiel hieß »Garten«.
Es ist nun schon Mitte Oktober, ein Samstag. Der Herbst ist eine prima Zeit für Gärten, weil man da neue Sträucher, Stauden, Gräser oder Bäume und Hecken pflanzt. Pia besucht seit einiger Zeit bevorzugt Freunde, die Gärten haben. An diesem Tag bringt sie nachmittags einen Spruch mit. Der Spruch geht ungefähr so: »Wenn du eine Stunde lang glücklich sein willst, betrinke dich. Wenn du eine Woche lang glücklich sein willst, schlachte ein Schwein. Wenn du ein Jahr lang glücklich sein willst, heirate. Aber wenn du ein ganzes Leben glücklich sein willst, lege dir einen Garten an.«
Da ich gerade kein Schwein zur Hand habe, nehme ich mir ein Glas Rotwein mit auf den Balkon. Ich passe gerade noch drauf, denn erstens ist der Balkon klein, Schweini und Poldi wohnen ja auch hier draußen, zweitens aber ist es eine grüne Hölle, ein Dschungel voller grandioser Pflanzen und Früchte. Pia hat es geschafft, aus gut zwei Quadratmetern einen Garten Eden zu machen, den sie immer am Samstag so liebevoll
pflegt, als wären die Menschen niemals aus dem Paradies verstoßen worden. Auf unserem Balkon gibt es sogar Erdbeeren, Tomaten, Schnittlauch, Salat und jede Menge Gewürze. Ich glaube, Pia gehört eigentlich auf eine Farm.
Die Kinder sind auch gern auf dem Balkon. Es wird eng. Ich gehe mit meinem Rotwein wieder hinein. Ein befreundeter Stadtplaner lebt mit Frau und fünf Kindern mitten in der Stadt, in Schwabing. Ihn rufe ich an und frage, warum alle immer in die Vorstadt ziehen wollen.
Er sagt: »Vorstädte und Vorstadtgärten sind die Ghettos von morgen.« Den älteren Leuten würden nämlich die langen Wege zu den Apotheken schon bald zu beschwerlich werden. Den Müttern würde das Chauffieren der Kinder zum
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