Meine Frau will einen Garten
Blumenauer Weg in Obermenzing, den mir der Makler des Grundstücks als Adresse nennt, auf Anhieb ins Herz schließe. Für Münchner Verhältnisse liegt dort geradezu exotisch viel Schnee, außerdem ist es ein schöner Tag.
Auch wenn es mir nicht gefällt, ich und das Viertel am westlichen Rand von München, wo ich niemals menschliches Leben oder irgendwelche Spuren von Zivilisation vermutet hätte: Es ist Liebe auf den ersten Blick.
In dieser denkwürdigen, für einen Innenstadtbewohner gefährlich irrationalen Stimmung suche ich nach dem Grundstück, das mir Bauernfeind am Telefon beschrieben hat. Unter anderem mit dem Hinweis, es sei nicht leicht zu finden. Nicht leicht? Das Grundstück existiert nicht. Bauernfeind spricht von einem »Geheimtipp«.
Das Grundstück, mein zukünftiges Zuhause, meine Scholle, bleibt unauffindbar. Es soll zwischen Nr. 11 und Nr. 13 liegen. Im Schritttempo fahre ich über leise knirschenden Schnee ein paarmal vorbei. So leise und sacht knirscht sonst meines Wissens nach nur noch der Schnee in Helsinki, wobei dort das Knirschen aber auch von depressiven Taxifahrern herrühren mag, die
betrunken auf der Straße liegen und unter die Räder kommen. Hier in Obermenzing, in diesem Wintermärchen, gibt es mit Sicherheit keine Depressionen. Dafür gibt es vor allem viel Zaun. Manchmal ein Schild »Wenden verboten«. Es gibt Bayernfahnen, aber zum Glück auch viele Bäume, die die Fahnen verdecken. Die Häuser und Straßen hier sind nicht alle glamourös - aber dafür immer vertrauenerweckend. Ich fahre noch langsamer, noch knirschiger: Wo ist denn nun das Grundstück?
Haus, Lattenzaun, Bäume, Sträucher, Jägerzaun, Haus, nichts. Bis mir auf einmal eine Tanne winkt. Die Tanne stellt sich als Bauernfeind im Lodenmantel heraus.
»Grüß Gott, herrlich, oder? Extrem billig, greifen Sie zu. Es gibt auch andere Interessenten. Viele andere Interessenten.«
»Grüß Gott, was meinen Sie? Wo ist denn das Grundstück? Ich sehe keines.«
»Na hier«, brummt Bauernfeind unter seinem Lodenschnurrbart, »ich steh drauf.«
Bauernfeind steht in einer Art Schneise zwischen zwei Häusern. In einer Schlucht. Die fragliche Bestlage soll von dem einen großen Baugrund, auf dem ein Mehrfamilienhaus steht, abgetrennt werden. Zwölf Meter breit und fünfzig Meter lang. Bauernfeind hat mit Farbe den Lattenzaun vorne an der Straße markiert, damit man sich vorstellen kann, wo die Grenzen der Bestlage verlaufen. Das Grundstück ist extrem
schmal. Eine Parzelle, wie geschaffen, um 50-Meter-Sprints zu üben. Oder für eine Schießanlage. Geeignet eigentlich für alle Linear-Sportarten. Das Mehrfamilienhaus auf der einen und ein kleines Einfamilienhaus auf der anderen Seite scheinen ohnehin schon eng vertraut beieinanderzustehen. Und dazwischen soll ich mein Haus pferchen? Nie und nimmer.
Das wäre wie in der U-Bahn, wenn man mit vielen Leuten in einem vollbesetzten Abteil mehr oder weniger aufeinandersitzt. Manchmal kommt dann noch so ein jovialer Rundschädel dazu und sagt: »Na, das geht wohl noch«, um seinen Wanst ins beengte Abteil zu stopfen. So ein Wanst will ich nicht sein.
»Nein danke!«, will ich schon zu Bauernfeind sagen, »kein Interesse.« Da kommt der Nachbar dazu. Beiläufig sagt er mir, das schmale Grundstück koste, weil es ja eigentlich nicht zu bebauen sei, ein gutes Drittel weniger als hier üblich. Ein billigeres Grundstück gäbe es in dieser Größe in ganz München nicht. »Das ist ein Schnäppchen.«
Der Schnäppchenjäger gehört leider zu den am meisten abstoßenden Erscheinungen der modernen Warenwelt. Man begegnet ihm zum Beispiel in jenen Restaurants an der Salatbar, die »All-you-can-eat«-Buffets anbieten. Man zahlt fünf Euro für den Salat und darf sich dann auf den Teller türmen, was die Gesetze der Schwerkraft hergeben. Einmal habe ich so einem Häppchenjäger zugesehen. Das war nicht irgendjemand. Das war offensichtlich ein ganz Großer in seiner Branche.
Ein Vollprofi. Man merkte das schon daran, dass er mit den Gurkenscheiben anfing.
Also: Er nimmt nur die dicksten Exemplare und achtet darauf, dass sie etwas gelblich, also trocken und ausgehärtet sind. Mit diesen betonhaften Scheiben belegt er seinen Teller. Ganz sachte. Er hat Zeit. Kostet ja nichts. In der Mitte fängt er an, dann reiht er Gurke an Gurke - bis er den Tellerrand erreicht. Hier nun zeigt sich seine Klasse: Er lässt die Scheiben auskragen und fordert die Statik heraus. Schicht um Schicht errichtet er
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