Meine Frau will einen Garten
überwachen, sind die Handwerker im Urlaub. Und alles wird viel teurer als erwartet. Neben der Miete zahlen die Semmelings bereits die monatlichen Abschläge für das neue Haus, und die müssen sie nun noch erhöhen, weil Trudchen immer nur die teuerste Ausstattung anfordert, denn es ist ja für immer. Am Ende sind alle erschöpft, verschuldet, aber stolz, und so zieht Familie Semmeling mit Vater, Mutter und Kind endlich ins eigene Haus. Aber dann entdecken sie die Baumängel …
Trudchen? Pia? Hörst du das?
Trotzdem: Das Grundstück, der Grund, die Scholle, unser »Fleckchen Erde«, was soll ich sagen, es lässt
mich nicht mehr los. Eigentlich will Pia von Anfang an nur ein Haus mit Garten. Den Grundbesitz nimmt sie als notwendiges Übel dazu, vor allem, weil sich bei unserer jahrelangen Suche nach dem richtigen Haus gezeigt hat, dass wir das perfekte Haus einfach selbst bauen müssen.
Deshalb fahre ich jetzt beinahe täglich in der Mittagspause raus in den Blumenauer Weg, um mir unser Haus darauf vorzustellen, um zu sehen, wo die Sonne auf- und wo sie untergehen wird. Um rauszukriegen, ob einer der Nachbarn sich vielleicht als Nazi oder als Kinderschänder herausstellen wird, um nachzusehen, ob irgendwo eine Studentenschaft haust, die nachts wüste Saufgelage abhält.
Außerdem denke ich daran, mit einem Wünschelrutengänger übers Grundstück zu laufen, weil vielleicht irgendwelche schädlichen Energieströme herumpulsen. Ich bin jetzt begeistert: ein Haus! Und deshalb überziehe ich natürlich total. Es ist ja für immer. Einmal im Leben. Jetzt muss alles perfekt sein. Pia seufzt. Sie kennt mich: ganz oder gar nicht. Alles dazwischen wäre ein vernünftiges Leben.
Ich studiere Karten, um rauszufinden, ob man hier vielleicht schon bald eine neue Umgehungsautobahn oder eine neue Einflugschneise zum Flughafen planen könnte. Wenn man sich klarmacht, dass man schon bald ein bestimmtes Grundstück kauft, für viel Geld, wird man unglaublich nervös. Ich jedenfalls. Pia ist die Ruhe selbst. Sie hat das Grundstück gesehen, schön gefunden
und ausgerechnet, dass es bezahlbar ist. Das genügt ihr.
Mir ist es dagegen wichtig, die Zeit zu stoppen, die Julia brauchen wird, um in die nahe gelegene Schule zu kommen. Ich bin unglaublich angespannt. Die Entscheidung, eine bestimmte Frau zu heiraten, scheint mir viel einfacher zu sein als die Entscheidung, ein bestimmtes Grundstück zu kaufen. Das ist natürlich töricht. Von Grundstücken kann man sich wieder trennen, ohne dass Scheidungsanwälte eingeschaltet werden müssen.
Man hat einfach Angst, sich für das falsche Grundstück zu entscheiden. Und man kann nie wissen. Was, wenn sich die Nachbarn links als Fans von Heino herausstellen und die Nachbarn rechts als Powergriller von März bis November? Dann würde ich die meisten Sommer nicht in meinem Garten verbringen, sondern in den böhmischen Bädern Karlsbad und Marienbad. Wie Goethe.
Allgemein wird angenommen, dass Goethe dorthin reiste, um erotische Abenteuer zu erleben, um kosmopolitische Bekanntschaften zu pflegen, vielleicht auch wegen der Kriegsgefahr. In Wahrheit war er auf der Flucht vor seinen Nachbarn. Hinter seinem Haus am Frauenplan in Weimar eröffnete nämlich eines Sommers eine Wirtschaft mit Kegelbahn. Goethe schrieb: »So ward zuletzt von Morgen bis in die Nacht gekegelt, wobei es denn an Geschrei, Lärm, Streit und anderen Unarten nicht gebrach.«
Und so frage ich sicherheitshalber einen unserer mutmaßlichen Nachbarn, ob es in der Nähe eine Kegelbahn gibt, wobei es denn an Geschrei und Lärm nicht gebricht.
8. Kapitel, in welchem das Geld regiert. Am Ende geht es allerdings nicht um Cent, sondern um Millimeter.
Eine meiner Lieblingsszenen in einer meiner Lieblingsfernsehserien, die schon lange nicht mehr zu sehen ist, läuft auf einen einzigen grandiosen Satz hinaus. »Mogst a Villa?« Zur Erläuterung für Nichtbayern wie beispielsweise Pia - das heißt: »Möchtest du vielleicht ein schönes großes Haus besitzen?« Die Villa, die seit der Renaissance als ländliche Entsprechung zum Stadtpalast gilt, hat eigentlich nur noch in Bayern eine abgründige Bedeutung. Die Villa ist hier eher eine Lebensals eine Bauform.
Es ist fünf Uhr früh, und »Baby« Schimmerlos, Zeitungskolumnist und Held der Fernsehserie »Kir Royal«, die möglicherweise das beste Porträt der Stadt München liefert und aus den achtziger Jahren stammt, kommt betrunken nach Hause. Mona, seine Freundin, sagt: »Du bist
Weitere Kostenlose Bücher