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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Schlitzaugen eigentlich recht häßlich, und da sie überdies so schrecklich mager war, daß ihre Knochen hervortraten, fand Peter, daß man sie, kritisch betrachtet, wirklich nicht hübsch nennen konnte. Er war aber schon alt genug, um zu wissen, daß man, um jemandem eine Freude zu machen, auch mal eine kleine Notlüge aussprechen durfte, und so erwiderte er: «O nein! So schön wie du bestimmt nicht!» Schließlich hatte er ja ihre Maus gegessen.
    «Ist das dein Ernst?» sagte sie, und Peter hörte sie jetzt zum ersten Mal schnurren. Um ihre Verwirrung zu verbergen, fuhr sie rasch mit ihrer Zunge über ihre eine Vorderpfote, und mit einem zufriedenen Lächeln auf ihrem mageren Gesicht fragte sie ihn: «Nun, und was geschah dann?»
    Und daraufhin erzählte Peter seine Geschichte in einem Zug zu Ende. Als er mit den Worten schloß: «... und wie ich die Augen wieder aufschlug, war ich plötzlich hier», entstand ein langes Schweigen. Peter fühlte sich müde, denn trotz Mahlzeit und Schlaf war er noch nicht wieder ganz bei Kräften, und das viele Reden hatte ihn doch sehr angestrengt, zumal er beim Erzählen alle Schrecknisse seiner Flucht von neuem durchlebt hatte.
    Jennie hingegen schien gründlich über etwas nachzudenken, ohne mit der Wimper zu zucken und mit einem angespannten Ausdruck in den Augen, der zwar ihre Bestürzung, jedoch keinen Zweifel verriet. Es war ihr deutlich anzusehen, daß sie Peters Erklärung, in Wirklichkeit sei er gar kein Kater, sondern ein kleiner Junge, aufs Wort glaubte, ebenso wie die seltsamen Umstände, unter denen seine Verwandlung erfolgt war, daß aber auch noch etwas anderes ihre Gedanken beschäftigte. Schließlich wandte sie ihren zu kleinen schmalen Kopf zu Peter um und sagte: «Ja, und was machen wir jetzt?»
    «Das weiß ich auch nicht», erwiderte Peter. «Aber wo ich nun mal eine Katze geworden bin, werde ich eben auch wie eine Katze leben müssen, denke ich.»
    Jennie legte ihre weiche Pfote leicht auf die seine und sagte sanft: «Aber Peter, verstehst du denn nicht, das ist es ja gerade! Du hast doch selbst gesagt, du hättest gar nicht das Gefühl, als wärst du eine Katze. Wenn du als Katze leben willst, mußt du doch erstmal lernen, wie!»
    «Ach herrje», sagte Peter, der nie große Lust hatte, irgend etwas zu lernen, «was gibt es denn da noch, außer daß Katzen gern Mäuse fressen und fauchen und schnurren können?»
    Die kleine Mieze war ehrlich entsetzt. «Was es da noch gibt?» wiederholte sie. «Das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen, wie viele Dinge! Hunderte, sag ich dir. Du meine Güte, wenn du jetzt gleich von hier weg und auf die Straße liefst, würde es bestimmt keine zehn Minuten dauern, bis du wieder in eine furchtbare Klemme gerätst — wie gestern abend. Es ist nicht leicht, ganz allein auf sich selbst angewiesen zu sein, auch dann nicht, wenn du alles oder so ziemlich alles gelernt hast, was eine Katze wissen muß.»
    Das hatte Peter freilich nicht bedacht, aber zweifellos hatte Jennie: recht. Wenn er noch derselbe geblieben und dann ausgesperrt worden wäre oder Nanny im Gedränge eines Jahrmarktrummels oder auch nur im Park aus den Augen verloren hätte, wäre er einfach zum nächsten Polizisten gegangen, hätte seinen Namen und seine Adresse gesagt und gebeten, ihn nach Hause zu bringen. Aber in seinem gegenwärtigen Zustand, als weißer Kater konnte er das ja nicht tun und auch keinem* Menschen erzählen, daß sein linkes Ohr deshalb so herunterhing, weil ein gelber Kater namens Dempsey es aufgeschlitzt hatte. Und viel schlimmer noch fand er es — seit Jennie ihn darauf hingewiesen hatte —, eine Katze zu sein, ohne eine Ahnung zu haben, wie man sich als solche benahm. Er bekam wieder Angst, aber eine ganz andere Angst als in der vergangenen Nacht, nicht dieses panische Entsetzen, sondern ein völlig neues Gefühl der Unsicherheit, als fingen das Bett und der Fußboden an zu schwanken und als hätte er überhaupt keinen festen Grund mehr unter seinen vier Pfoten. Und etwas jämmerlich rief er aus: «Oh, Jennie — jetzt fürchte ich mich wirklich! Was soll ich nur tun?»
    Sie dachte ein bißchen länger nach und sagte dann: «Ich weiß! Ich werde dich unterrichten.»
    Peter fühlte sich so erleichtert, daß ihm fast die Tränen kamen. «Liebste Jennie! Wolltest und könntest du das?»
    Das Gesicht der kleinen Katze hatte einen geradezu engelhaften Ausdruck, oder jedenfalls kam es Peter so vor, und jetzt fand er sie tatsächlich

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