Meine Freundin Jennie
hinzu: «Ich kann es einfach nicht glauben. Irgend etwas muß ihnen zugestoßen sein...»
«Ich wünschte, ich könnte auch so denken», erklärte Jennie. «Aber wenn du erst älter — ich meine, erst einmal längere Zeit eine Katze gewesen bist, dann wirst du auch dahinterkommen, daß die Menschen es immer so machen. Solange sie Gefallen an uns finden und sie nicht zuviel Mühe mit uns haben, behalten sie uns, aber wenn wir ihnen — ohne, daß wir daran schuld sind — unbequem werden, gehen sie einfach weg und lassen uns verhungern.»
«Aber Jennie», rief Peter wieder, ganz entsetzt über solche Grausamkeit, «ich würde nie Weggehen und dich so im Stich lassen...»
«Du vielleicht nicht», erwiderte Jennie, «aber die anderen Menschen, und die Pennys haben es jedenfalls getan. Ich werde diesen Morgen nie vergessen. Ich konnte es zuerst einfach nicht fassen, als eine Stunde nach der anderen verstrich und sie nicht kamen. Ich sah durchs Fenster, ich horchte an der Tür — aber nichts rührte sich. Es wurde immer später. Da fing ich an zu schreien, weil ich wohl noch hoffte, daß ich nur nicht gehört hätte, wie sie ins Haus gekommen waren.
Ich schrie mich ganz heiser. Ich warf mich gegen die Tür und bemühte mich verzweifelt, sie aufzubekommen, aber sie hatte keine Klinke, die ich hätte niederdrücken können, sondern statt dessen einen glatten runden Holzknauf. Längst war es Nachmittag geworden, und nun wurde es schon Abend. Ich konnte aber kein Auge zutun, sondern rannte die ganze Nacht in dem ausgeräumten Nähzimmer auf und ab und suchte mich mit der unsinnigen Hoffnung zu trösten, daß die Penny morgen wiederkommen würden.
Sie kamen aber nicht, sondern es geschah etwas Schreckliches: die Umzugsleute kamen! Vom Fenster aus konnte ich deutlich sehen, wie der Möbelwagen vorm Haus hielt. Den ganzen Tag gingen die Männer ein und aus und trugen die Möbel, die Kisten und Koffer, Körbe und Bündelhinaus. Dann stiegen sie wieder auf den Wagen und fuhren fort. Mittlerweile hatte ich die Milch und das Wasser ausgetrunken und hatte schrecklichen Durst, denn auch am nächsten und übernächsten Tag bekam ich nichts zu trinken und natürlich auch nichts zu essen.»
«Arme, arme Jennie!» sagte Peter. «Da mußt du ja mächtig hungrig gewesen sein!»
«Ich hatte aber kein Bauchweh, Peter», erwiderte Jennie, «sondern das Herz krampfte sich mir zusammen, und ich wäre am liebsten gestorben, so elend und einsam und traurig fühlte ich mich. Und am meisten sehnte ich mich danach, daß meine geliebte Buff mich auf den Arm nahm und mich zärtlich knuffte, wie sie es aus lauter Liebe tat.
Und dann merkte ich plötzlich, und dabei lief es mir eiskalt über den Rücken, daß ich sie haßte. Ich wollte sie beißen, kratzen, mit den Krallen auf sie losgehen, Und ich wäre sogar imstande gewesen, sie umzubringen. Ja, damals lernte ich hassen, Peter, und das ist schlimmer als wenn man krank wird oder hungern muß oder Durst hat und Schmerzen leidet. Dieser Haß verdrängte alle Liebe, die ich für Buff empfunden hatte. Ich machte mir zwar keine Hoffnung mehr, lebend aus diesem Zimmer herauszukommen, aber ich schwur, wenn ich es doch tun sollte, keinem Menschen je wieder zu vertrauen oder ihnen meine Liebe zu schenken oder mit ihnen zu leben.
Und dann wurde ich eines Morgens, als ich schon halb tot war, aus meiner Gefangenschaft erlöst. Ich hörte ein Geräusch an der Haustür und dann Schritte. Ich wußte zwar, daß es fremde Schritte waren, dennoch hoffte ich, ich hätte mich vielleicht verhört, und die Pennys wären endlich doch gekommen, und ich war nur allzu bereit, sie freundlich zu begrüßen, zu schnurren und sogar zu versuchen, Buff auf die Schulter zu springen, um ihr zu zeigen, daß ich ihr verziehen hatte. Ach, wie gern wäre ich ihr mit der Pfote übers Gesicht gefahren und hätte sie geküßt und geküßt, wenn sie nur zurückgekommen wäre und mich nicht vergessen hätte!»
«Ich wünschte wirklich, sie wäre wiedergekommen, Jennie», sagte Peter.
«Sie waren’s natürlich nicht», fuhr Jennie fort. «Es waren nur irgendwelche Leute, zwei Frauen, die sich wahrscheinlich das Haus ansehen wollten. Die eine sprach mitleidig auf mich ein und hob mich hoch. Aber ich war von dem langen Hungern noch so benommen und vor Kummer fast von Sinnen, daß ich nicht wußte, was ich tat. Ich biß sie. Vor Schreck ließ sich mich fallen, und ich war auch so erschrocken, daß ich in meiner Angst tatsächlich die
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