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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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vergelten.
    Offensichtlich hatte er Jennie etwas verstimmt, denn sie richtete sich steif auf und sah ihn, was sie noch nie getan hatte, mit einem Blick an, der nahezu eisig war. «Du kannst nicht zwei Fliegen auf einmal fangen», sagte sie. «Wenn du mein Leben führen willst — und im Augenblick dürftest du da wohl kaum eine andere Wahl haben...»
    «Natürlich will ich das», erklärte Peter hastig. «Es ist mir eben nur noch so ungewohnt, daß Katzen in vielem ganz anders empfinden als Menschen. Aber ich will tun, was du sagst, und ich möchte gern lernen...»
    Ihrer Miene nach zu urteilen, schien Jennie auch über diese Worte nicht allzu erfreut zu sein, doch bevor sie noch etwas darauf entgegnen konnte, schrie einer der Ziehleute: «Also, das hätten wir geschafft», und eine andere Stimme erwiderte: «Nu aber nischt wie weg!»
    Jennie spähte wieder um die Ecke und sagte: «Sie sind fertig, aber warten wir lieber noch ein paar Minuten, bis wir sicher sein können, daß sie nicht noch einmal zurückkommen, und dann suchen wir schleunigst das Weite.»
    Als sie sich vergewissert hatten, daß der Gang leer war, machten sie sich auf und liefen, Jennie vorneweg, an dem ausgeräumten Verschlag vorüber den Korridor entlang, in derselben Richtung wie die Transportarbeiter. Jennie bog jedoch schon bald nach rechts in einen Nebengang ab und blieb dort vor einem Verschlag stehen, der direkt an die Außenmauer des Lagerhauses grenzte und mit scheußlichen hypermodernen Stahlmöbeln vollgepfropft war, Stühlen mit straff gespannten Ledergurten und Sesseln mit ganz harten Sitzpolstern. Als Peter Jennie eingeholt hatte, führte sie ihn bis zur Rückwand des Verschlags, wo ihnen in der Fußleiste ein ziemlich großes kreisrundes Loch schwarz und bedrohlich entgegengähnte.
    «Hier müssen wir durch», sagte Jennie, «aber du brauchst keine Angst zU haben. Geh nur hinter mir her, erst ein Stückchen nach rechts und (jann nach links. Es ist nur am Anfang so dunkel, dann wird’s gleich nieder hell.»
    Sie schlüpfte in das Loch hinein, und Peter folgte ihr. Drinnen wurde eS auf einmal so finster, daß er Jennie nicht mehr sehen konnte, sondern nur mit den Enden seiner Schnurrhaare zu ertasten vermochte, wo sie sich befand. Es machte ihm also gar keine Mühe, ihr zu folgen, und bald wurde es auch wieder hell genug, um zu erkennen, daß sie durch ein langes Eisenrohr liefen, das einen Durchmesser von mehr als dreißig Zentimetern hatte. Dann sah Peter, woher das Licht kam: das letzte Stück von dem Rohr war an mehreren Stellen völlig durchgerostet, etwa anderthalb Meter von dem Punkt entfernt, wo es in die Straße mündete.
    Vermutlich diente es der Luftzufuhr, denn an seinem Ende war früher ein Gitter befestigt gewesen, das sich jedoch durch den Rost gelockert hatte und schließlich abgefallen war, und so konnten sie ungehindert passieren.
    Peter war so erfreut und aufgeregt darüber, noch einen letzten Strahl der Abendsonne zu erhaschen und wieder ins Freie zu gelangen, daß er an Jennie vorbeilief und sofort auf die Straße hinausgerannt wäre, hätte Jennie ihn nicht gerade, als er schon im Begriff war, seinen Kopf herauszustrecken, durch einen warnenden Aufschrei zurückgehalten.
    «Peter! Warte!» rief sie ihm zu. «Weißt du denn nicht, daß man sich auf jeder Türschwelle oder überhaupt an jedem Ausgang erst umschauen muß? Aber freilich — woher solltest du das auch wissen! Ach, du Schreck, ich habe ja gar nicht vor, dir immerfort zu sagen, was du tun oder nicht tun sollst, aber dies ist wirklich wichtig! Es ist sozusagen die zweite Grundregel, die du dir merken mußt: Renne nie aufs Geratewohl aus irgendeinem Raum hinaus und vor allem nicht ins Freie!»
    Peter sah, daß Jennie ihre gute Laune wiedergewonnen und augenscheinlich ganz vergessen hatte, daß sie über ihn etwas aufgebracht gewesen war. Und da er darauf brannte, die Gründe für ihre Warnung zu erfahren, sagte er: «Das verstehe ich nicht, Jennie. Meinst du, wenn ich einen Raum betrete, brauche ich mich nicht erst umzuschauen, aber immer, wenn ich einen verlasse?»
    «Natürlich, was denn sonst?» erwiderte Jennie, die sich in der Öffnung des Rohrs gemächlich auf ihre Pfoten niederließ und nicht die geringste Neigung bezeigte, sich auf die Straße hinauszubegeben. «Wenn du einen Raum verläßt, ist dir ja bekannt, was darin ist. Du weißt aber nicht, was draußen deiner wartet, weil du dort noch nicht gewesen bist. Das muß doch jedem einleuchten,

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