Meine Freundin Jennie
gebe!»
Peter gehorchte ihr, denn er erkannte durchaus an, daß Jennie viel mehr Erfahrung hatte als er selbst und schon ihre Gründe haben mußte, wenn sie ihm das sagte.
Als er sich nun aber platt auf den Boden legte, bekam er plötzlich schrecklichen Durst, was ja auch kein Wunder war, nachdem er soviel Staub geschluckt, sich so gründlich gewaschen und soviel gereder und nichts getrunken hatte, seit er von daheim fort durch ganz London gerannt war, und er hatte das quälende Gefühl, daß er umkommen würde, wenn er nicht bald wenigstens einen Tropfen Wasser in seine ausgedörrte Kehle bekam.
Schau dich auf jeder Türschwelle erst um!
«Jennie», flüsterte Peter, «ich bin so furchtbar durstig!»
Fast eine Stunde lang kauerten sie nun schon dort an der Biegung des Korridors und warteten darauf, daß die Ziehleute endlich Feierabend machen würden.
Jennie streckte sich lang aus und lugte um die Ecke. «Bald», sagte sie. «Es sind nur noch ein paar Stücke übrig.»
«Wie gern hätte ich jetzt ein großes Glas kalte Milch!» sagte Peter.
Jennie wandte sich nach ihm um. «Eine Schale Milch, meinst du wohl. Aus einem Glas könntest du ja gar nicht trinken. Und ausgerechnet Milch — wenn du wüßtest, wie lange ich schon keine mehr zu trinken bekam! In dem Leben, das unsereins führt, ich meine, so abgeschnitten von den Menschen, gibt es keine Milch. Wenn du Durst hast, mußt du mit dem Regenwasser oder dem Spülwasser im Rinnstein oder in einem Eimer vorliebnehmen, der draußen stehengeblieben ist. Das heißt, du kannst natürlich auch nachts, weil du dann nicht mehr Gefahr läufst, dort irgendwelchen Leuten zu begegnen, zu einem der Bootsstege am Fluß runterlaufen, wenn es dir nichts ausmacht, etwas öliges und brackiges Wasser zu trinken.»
Peter war ganz und gar nicht erbaut von dieser Aussicht, und er hatte sich noch immer nicht an die Tatsache gewöhnt, daß er kein Junge mehr war, der noch Eltern und ein Zuhause hatte, sondern ein heimatloser weißer Kater ohne ein anderes befreundetes Wesen als eine Straßenkatze, die noch ausgehungerter und magerer war als er selbst.
Der Durst quälte ihn so schrecklich, und er fand das Bild, das Jennie soeben entworfen hatte, so trübselig und unerfreulich, daß er in Tränen ausbrach und greinte: «Ich trinke Milch aber so gern, und Nanny gibt mir jeden Tag welche, zum Frühstück und...»
«Leise, sonst hören sie dich!» warnte Jennie und fügte hinzu: «Kein Mensch denkt daran, uns obdachlosen Katzen je eine Schale Milch hinzustellen. Mit der Zeit wirst du dich schon daran gewöhnen, ohne Milch auszukommen!»
Peter bezweifelte das jedoch und weinte still vor sich hin, während Jennie Baldrin ihn mit zunehmender Besorgnis und Verblüffung betrachtete. Anscheinend versuchte sie, sich über etwas schlüssig zu werden, was sie offenbar nicht gern tun wollte. Doch als sie das Gefühl hatte, seinen Kummer nicht länger mit ansehen zu können, flüsterte sie ihm zu: «Komm, gräm dich doch nicht so! Ich glaube, ich weiß einen Platz, wo ich dir zu einem Schälchen Milch verhelfen könnte. Sobald die Luft rein ist, werden wir dahin gehen.»
Als Peter das hörte, versiegten seine Tränen, und sein Gesicht hellte sich sofort auf. «Ja?» sagte er. «Wohin denn?»
«Ich kenne da einen alten Wächter, der unten bei den Ostindiendocks in einer Baracke wohnt. Er lebt ganz allein, ist ein großer Katzenfreund und hat immer einen Happen für einen übrig, besonders für mich. Er liegt mir sogar schon seit Monaten damit in den Ohren, ich möge doch für immer bei ihm bleiben. Aber natürlich denke ich auch nicht im Traum daran!»
«Aber», sagte Peter, der sich mit seinem Einwand zwar nicht um die Milch bringen, sondern nur genau wissen wollte, unter welchen Bedingungen sie zu haben war, «das hieße doch, etwas von einem Menschen annehmen, nicht wahr?»
«Ja, aber ohne etwas dafür zu geben», erwiderte Jennie in jenem merkwürdig gereizten Ton, den ihre Stimme immer annahm, wenn sie über irgend etwas sprach, was mit einem Menschen zu tun hatte. «Wir werden die Milch trinken und uns dann sofort wieder verkrümeln.»
«Wäre das nicht sehr unrecht?» fragte Peter. Es war ihm wider Willen entschlüpft, denn er war sehr begierig auf die Milch, doch lag ihm ebensoviel daran, Jennie nicht zu beleidigen. Da man ihm aber gewisse Anstandsregeln beigebracht hatte oder er diese instinktiv für richtig hielt, fand er es ziemlich schäbig, eine Gefälligkeit so zu
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