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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Peter den Vorzug, manche vergnügliche und aufregende Stunde auf dem Tisch sitzen zu dürfen, an dem Mr. Carluke seine Geschichten schrieb. Das machte ihm fast ebensoviel Spaß, erzählte er Jennie später, wie ins Kino zu gehen. Denn der kleine Mann legte von Zeit zu Zeit die Feder hin, sprang ganz plötzlich auf, griff sich mit beiden Händen an die Hüften, als ziehe er zwei Pistolen aus ihren Lederhalftern, krümmte dann Zeigefinger und Daumen, wie wenn er zugleich mit der Rechten und mit der Linken die Abzugshähne von zwei Trommelrevolvern spannte, und sagte mit schneidender Stimme: «Daß du dich nicht von der Stelle rührst, Luke Short, du abgefeimter Pferdedieb du, oder ich gebe dir hier mit meinen beiden 45-Kaliber-Pusterohren etwas Luft zu schlucken, so wahr ich kein Hundsfott bin!» Dann ging er rasch wieder zu seinem Tisch zurück und schrieb alles genau so nieder, wie er es gesagt hatte, was Peter einfach wunderbar fand. Manchmal ergriff Mr. Carluke auch ein Küchenmesser und tat so, als sei er eine Rothaut, die im Begriff war, ein Bleichgesicht zu skalpieren; und wenn dann in letzter Minute die Kavalkade zur Rettung herangebraust kam, ahmte er sogar das Geklapper der galoppierenden Pferde nach, indem er sich im Takt der Hufe eifrig auf die Schenkel schlug.
    Jennies Reich hingegen war das Vorschiff, wo sie sich während der Nachtwachen für die riesengroßen Ratten, die dort hausten, zu einem wahren Schrecken auswuchs, zur Freude und Zufriedenheit der Matrosen, die dort ihre Kojen hatten. Sie freundete sich rasch mit diesen einfachen Männern an, die es großartig fanden, daß Jennie sich unter ihnen so heimisch fühlte, und sie wurde es nicht müde, Peter zu erzählen, was sie von den sonderbaren Käuzen im Mannschaftslogis aufgeschnappt hatte.
    Da gab es, berichtete Jennie, einen Matrosen, der früher ein Eremit gewesen war und zehn Jahre lang in einer Höhle gelebt hatte, bis er sich eines Besseren besann; ein anderer hatte in einem Schönheitssalon in Edinburgh einen Dauerwellen-Apparat bedient, bis irgend etwas daran nicht mehr funktionierte und er zu seinem Unglück die Haare einer Kundin so stark verbrannte, daß sie ihr alle ausfielen und er fristlos entlassen wurde; und ein dritter hatte am Strand von Brighton seine Schwimmkünste zur Schau gestellt, weil er so ungewöhnlich lange den Atem anhalten und unter Wasser bleiben konnte.
    Weil sie sie nun täglich wieder zu hören bekam und ihr dabei so manches vergessene Wort wieder einfiel, wurde Jennie mit der Sprache der Menschen wieder besser vertraut, und die erstaunlichste Geschichte wußte sie von Angus, dem Boots’n, zu erzählen und davon, womit er seine Zeit verbrachte, wenn er keine Wache und auch sonst nichts zu tun hatte. Was glaubte Peter wohl, was der in seinen Mußestunden tat?
    Angus war Peter gleich aufgefallen, weil er solch ein Hüne von Mann war, bärtig wie ein Hochländer, mit Armen, bei denen man unwillkürlich an die Äste alter Eichen dachte, und schwieligen Händen mit roten, stark hervortretenden Knöcheln und langen dicken Fingern, die wie Blutwürste aussahen. Als Peter erklärte, daß er sich nicht vorstellen könne, was für ein Steckenpferd der Bootsmann habe, sagte sie es ihm: «Sticken!» Mit buntem Garn stickte er wunderschöne Blumen auf eine Leinendecke, die über einen Holzreifen gespannt war. Er machte das tatsächlich ausgezeichnet, sagte Jennie, sie habe ihm nämlich einen ganzen Morgen lang zugeschaut, und die Blumen wirkten so echt, daß man sie beinahe riechen könne.
    Einer der neu angeheuerten Matrosen an Bord war so unklug gewesen, Angus damit aufzuziehen und sich offen über ihn lustig zu machen, woraufhin Angus ihn mit einem einzigen Schlag zu Boden gestreckt hatte, wo der Spötter bewußtlos liegenblieb. Als der Matrose, durch mehrere Eimer Wasser aus seiner Ohnmacht erweckt, sich wieder erhob, sagten ihm die anderen, daß es sehr töricht gewesen sei, Angus zu verspotten, nicht etwa wegen der , die ihm das eingebracht habe, sondern weil er hätte wissen sollen, daß Angus, sobald die Gräfin in Glasgow anlege, seine Stickerei in ein bestimmtes Geschäft trage und jedesmal drei Pfund und zehn Schillinge dafür erhalte.
    Es war wirklich bemerkenswert, daß die Crew der Gräfin von Greenock — bis auf den Käpten und den Ersten Offizier — trotz der großen Verschiedenheit dieser Männer und ihrer Interessen und Liebhabereien so gut untereinander auskam und es irgendwie doch fertigbrachte,

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