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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Redensart ausgedacht, daß eine Katze neun Leben habe, was natürlich reiner Blödsinn ist. Wir haben alle nur eine bestimmte Anzahl von Möglichkeiten, in letzter Minute mit dem Leben davonzukommen, und das nächste Mal erwischt es uns dann doch. Ich möchte es aber gar nicht erst zu einem nächsten Mal kommen lassen, und ich hoffe nur, daß sich uns bald eine Gelegenheit bieten wird, wieder nach London zurückzufahren.»
    «Jennie!» schrie Peter aufgeregt, «warum nicht gleich — jetzt auf der Stelle, falls es noch nicht zu spät sein sollte?»
    «Ja, aber wie denn, Peter? Wie meinst du das?»
    «Nun, mit der Gräfin von Greenock, ich hab sie da oben vom Turm aus genau gesehen. Heute morgen lag sie noch da, und aus ihrem Schornstein stiegen dicke schwarze Rauchwolken auf, wie damals, als wir in London an Bord gingen. Sie fährt bestimmt wieder zurück. Wenn wir uns beeilen, kommen wir vielleicht nicht zu spät und können sie noch erreichen, bevor sie ausläuft.»
    Jennie stieß einen tiefen Seufzer aus, warf Peter einen bewundernden Blick zu und kuschelte sich für einen Augenblick ganz fest an ihn. «Ach», sagte sie, «es ist wirklich ein Segen, ein männliches Wesen dabei zu haben, das sich auskennt und weiß, was man zu tun hat.» Dann sprang sie auf und rief: «Komm, Peter, machen wir uns schnell auf den Weg, sonst fährt uns die Gräfin womöglich noch davon.»
    Also liefen sie los, schlugen alle Anstandsregeln und die gewohnte Vorsicht in den Wind, dachten gar nicht daran, die Punkt-für-Punkt-Methode zu befolgen, sondern rannten, hüpften und flogen über jedes Hindernis hinweg, nicht nur mit der allen Katzen eigenen Gewandtheit und Geschwindigkeit, sondern auch getrieben von jenem Gefühl der Erleichterung, das den Gang beschwingt, wenn einem eine schwere Last von der Seele genommen ist.
    Sie rasten unter der Eisenbahnbrücke und der King-George-Brücke hindurch, am Dampfersteg vorbei, wo die Leute zu den Fahrten nach Greenock und Gourock und Inverary und Ardrishaig anstanden, und dann den belebten Broomielaw-Kai hinunter, wo die verschiedensten Stückgüter auf Frachtdampfer verladen wurden, die nach allen möglichen Häfen der Welt auslaufen sollten. Peter und Jennie blieben jedoch nicht einen Augenblick stehen, um sich zu verschnaufen, weil sie wußten, daß es nun, nachdem aus dem Schornstein der Gräfin von Greenock wieder die schwarze Rauchfahne aufstieg, nur noch eine Frage von Minuten war, bis sie ablegen würde.
    So jagten sie weiter, den Clyde entlang, durch Cheapside und Piccadilly, und da sahen sie auch schon, wenige hundert Meter entfernt, die Gräfin von Greenock vor sich liegen, aus deren Schornstein jetzt nicht mehr der rußige Kohlenrauch, sondern eine weiße Dampfwolke hervorquoll, die ihn wie ein feines Gespinst umwogte; und dann hörten sie das Heulen der Schiffssirene.
    «O je», rief Peter, «sie fährt schon ab. Schneller, schneller, Jennie! Gib alles her, was du hast!» Und daraufhin legten sie beide die Ohren zurück, streckten ihre Schwänze stromlinienförmig von sich und guckten nicht rechts und nicht links — zwei Kilometerfresser, von denen nur noch ein weißer und ein brauner Streifen zu sehen war, so blitzschnell sausten sie dahin.
    Trotzdem wären sie zu spät gekommen, hätte die Mannschaft der Gräfin von Greenock es nicht in letzter Minute noch fertiggebracht, die Laufplanke, als sie diese vom Deck des kleinen Frachters losmachen Wollten, damit sie auf den Pier verholt werden konnte, festzuklemmen.
    So mußte denn Mr. Box, der Zimmermann, herbeigerufen werden, der sich mit seinen Werkzeugen, seinen Hämmern, Meißeln und Zangen, Sägen, Bohrern, Sperrhaken und Schraubenziehern sogleich an die Arbeit machte. Aber so hartnäckig er das Holz auch beklopfte, anhob und darauf herumsägte, wobei er einen ganz roten Kopf bekam und immer wieder «verdammt noch mal» oder «willst du wohl endlich?» vor sich hin murmelte, gelang es ihm doch nicht, den Laufsteg zu lockern. Einen Augenblick lang sah es so aus, als ob der Frachter durch die Planke in alle Ewigkeit an den Pier gefesselt bleiben oder mit ihr davonfahren müsse so, wie sie da an der Seite über den Schiffsrumpf hinausragte.
    Da verlor Mr. Box die Geduld. Er erhob sich von der Stelle, wo er eben noch gekniet und eifrig gehämmert, gebohrt und gesägt hatte, und gab der widerspenstigen Planke einen heimtückischen und wohlgezielten Tritt, der sie mit voller Wucht traf und bewirkte, daß sie sich mühelos vom Deck

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