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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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sehen, falls die Vorhänge nicht zugezogen waren; oder seine Mutter und Nanny traten vielleicht gerade aus der Haustür oder kamen von einem Ausgang zurück, und er würde so wenigstens Gelegenheit haben, sich davon zu überzeugen, daß sie gesund waren und es ihnen gut ging, und vor allem auch dazu, Jennie Baldrin seine Mutter zu zeigen. Er wollte so furchtbar gern, daß Jennie sah, wie schön seine Mutter war. Und so faßte er jetzt den Entschluß, ungesäumt hinzulaufen.
    «Das ist das Haus», sagte er, «das kleine dort, ganz am Ende der Sackgasse.» Es war nicht schwer, Jennie das Haus zu zeigen, weil es so klein war, nur zwei Stockwerke hoch, und so dicht neben dem Nachbarhaus stand, einem viel größeren Haus aus Granit, das man kürzlich restauriert hatte und in das neue Mieter einziehen sollten, gerade zu der Zeit, als das ihm noch immer unbegreifliche Ereignis passierte, durch das er in einen weißen Kater verwandelt worden war.
    Das von seinen Eltern bewohnte Haus war sehr hübsch und hatte eine besonders schöne, von hellem Holz eingerahmte schwarze Tür, auf der sein Vater ein blankpoliertes Messingschild befestigt hatte, in das sein Name eingraviert war: — damit die Leute, die ohnehin schon soviel Mühe hatten, die kleine Sackgasse zu finden, schneller herausbekamen, in welchem Haus er dort wohnte.
    Doch als Jennie und er nun über die Gasse hinüber auf das Haus zuliefen, bemerkte er, daß an der Tür etwas komisch oder vielmehr anders war, ja, irgend etwas stimmte auch nicht mit dem Wohnzimmerfenster, das auf die Straße hinaus ging und immer mit steifgestärkten Spitzengardinen geprunkt hatte, hinter denen man gerade noch den niedrigen Kupfertisch sehen konnte, auf dem die kleine Bronzestatuette eines Merkur stand.
    Beim Näherkommen sah Peter nun auch, was da anders war: das Messingschild befand sich nicht mehr an der Tür, auch hingen keine Gardinen mehr vor den Fenstern und es standen überhaupt keine Möbel mehr in dem Zimmer; man konnte jetzt ungehindert hineinschauen und sehen, daß es ganz leer war. Aber am Fenster steckte eine kleine weiße, schwarzbedruckte Karte, und die Inschrift darauf besagte eindeutig, daß dieses Haus zu vermieten sei und etwaige Interessenten sich an Tredgemore und Silkin in Sackville Street oder an den Verwalter wenden sollten. Das bewies also klipp und klar, daß die Browns ja gar nicht mehr in Nr 1 a von der Cavendish-Gasse wohnten; wohin sie aber gezogen waren, wurde einem mit keinem Sterbenswörtchen verraten.
    Zunächst zeigte sich Peter nicht einmal überrascht. Seine Eltern waren ja schon so oft von einem Ort in einen anderen übergesiedelt. Daran erinnerte er sich noch gut, es hing irgendwie damit zusammen, daß sein Vater Offizier war und von der Armee öfters woandershin versetzt wurde.
    Dann aber machte diese flüchtige Reaktion einer tiefen Enttäuschung Platz. Es war ihm bisher gar nicht so schlimm vorgekommen, eine Katze geworden zu sein, besonders nachdem Jennie ihn unter ihre Fittiche genommen hatte, und ihre gemeinsamen Abenteuer hatten ihm viel Spaß gemacht. Doch jetzt wurde er sich plötzlich bewußt, daß er im Grunde seines Herzens immer die tröstliche Gewißheit gehabt hatte, daß, wo er selber auch sein mochte und was auch geschah, seine Eltern dort in dem kleinen Haus in der Cavendish-Gasse lebten und er sich, wenn er an sie dachte, immer genau vorstellen konnte, was sie gerade taten. Vor allem aber war ihm das als eine Gewähr dafür erschienen, daß er sie, wenn er wollte, jederzeit Wiedersehen könnte, wenn sie ihn ja auch nicht erkennen würden.
    Und nun waren sie fort!
    Peter setzte sich vor die schwarze Tür und das kahle Fenster auf den Bürgersteig und zwinkerte heftig, um die Tränen zurückzudrängen. Sein Kummer war so groß, daß er nicht einmal auf den Gedanken kam, sich zu putzen, weil Jennies bewährtes Rezept in diesem Fall doch versagt haben würde. Er hatte so gern mit seinen neuerworbenen Fähigkeiten glänzen und seinen Eltern wenigstens einiges von dem zeigen wollen, was er inzwischen erlernt hatte, damit sie sich persönlich davon überzeugen konnten, daß er nicht mehr derselbe Peter war, den die Schotten-Nanny beim Überqueren der Straße immer hatte an die Hand nehmen müssen. Jetzt konnte er ganz allein in London herumspazieren und sich fast ohne jede Hilfe zurechtfinden. Und er hatte eine lange Seereise gemacht, war auf einem Dampfer in eine fremde Stadt gefahren, war von Bluthunden einen

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