Meine geheime Autobiographie - Textedition
Schale des Löffels verglichen habe. Als wir uns der Schleife näherten, sah ich, dass Whitmore Backbordkurs nahm (ich saß steuerbord – auf der Seite, auf der sich das Haus befand) und die Löffelschale links umrunden wollte. Ich sagte:
»Tun Sie das nicht, Whitmore; nehmen Sie die rechte Seite. Dann bin ich, wenn wir zur Tür kommen, direkt vor dem Haus.«
Er sagte: »
Das
wird sowieso
nicht
passieren, es macht keinen Unterschied, wie ich das Blumenbeet umrunde.«
Ich erklärte ihm, dass er ein Esel sei, aber er blieb bei seiner These, und ich sagte:
»Versuchen Sie’s nur, Sie werden schon sehen.«
Er fuhr weiter und versuchte es, und tatsächlich endete ich genau vor der Haustür auf der Seite, die er mir vorausgesagt hatte. Ich konnte es damals nicht glauben, und ich kann es heute noch nicht glauben.
Ich sagte: »Whitmore, das ist reiner Zufall. Noch einmal kriegen Sie das nicht hin.«
Er widersprach – fuhr die Straße hinunter, drehte um, kam zurück und kriegte es tatsächlich wieder hin. Ich war wie betäubt, wie gelähmt, wie versteinert angesichts dieses eigenartigen Ausgangs der Sache, doch überzeugt war ich nicht. Ich glaubte nicht, dass er es noch einmal hinkriegen würde, und doch gelang es ihm wieder. Er sagte, er könnte es den ganzen Tag tun und würde jedes Mal so vor der Haustür zum Stehen kommen. Inzwischen hatte ich die Geduld verloren und bat ihn, nach Hause zu fahren und sich in die Anstalt einweisen zu lassen, ich würde die Kosten übernehmen; er sollte mir eine Woche nicht mehr unter die Augen kommen.
Voller Wut ging ich nach oben und begann Livy davon zu erzählen. Ichrechnete mit ihrem Mitgefühl und wollte sie gegen Whitmore einnehmen; doch als die Geschichte von meinem Abenteuer ihren Fortgang nahm, brach sie bloß in schallendes Gelächter aus, denn ihr Kopf glich dem Susys: Rätsel und Kompliziertheiten bargen keinen Schrecken für sie. Sie und Susy hatten einen analytischen Verstand; ich habe versucht, es so hinzustellen, dass meiner anders beschaffen sei. Viele, viele Male habe ich von dem Pferdewagenexperiment erzählt und gegen alle Hoffnung gehofft, dass ich irgendwann einmal jemanden finden würde, der auf meiner Seite steht, aber das ist nie eingetreten. Und nie kann ich flinkzüngig weiterzählen und die Umstände der Pferdewagenfahrt schildern, ohne innezuhalten, zu überlegen und mir den Löffelstiel, die Löffelschale, den Wagen und das Pferd, meinen Sitzplatz auf dem Pferdewagen in Erinnerung zu rufen: und wenn ich endlich so weit bin und versuche, den Wagen nach links zu lenken, ist alles für die Katz; ich verstehe einfach nicht, warum ich mich, wenn wir zur Haustür kommen, auf der rechten Seite wiederfinde. Susy hat ganz recht mit ihrer Einschätzung. Bestimmte Dinge begreife ich einfach nicht.
Die Alarmanlage, die Susy erwähnt, führte ein fröhliches und sorgloses Leben und hatte keine Prinzipien. Immer wieder funktionierte sie gerade nicht; und dazu gab es reichlich Gelegenheit, weil alle Fenster und Türen vom Keller bis zum Obergeschoss an sie angeschlossen waren. In den Zeiten, da sie nicht funktionierte, beunruhigte sie uns allerdings nicht lange: Wir fanden rasch heraus, dass sie uns zum Narren hielt und ihr markerschüttendes Schrillen lediglich zu ihrer eigenen Belustigung ertönen ließ. Dann schalteten wir sie ab und ließen einen Elektriker aus New York kommen – denn damals gab es in ganz Hartford keinen. Wenn sie repariert war, schalteten wir sie wieder ein und erneuerten unser Vertrauen in sie. Eigentlich erfüllte sie ihre Aufgabe nie außer bei einer einzigen Gelegenheit. Den Rest ihrer kostspieligen Karriere verbrachte sie leichtfertig und zweckfrei. Nur dieses eine Mal kam sie ihrer Pflicht zur Gänze nach – feierlich, ernst, bewundernswert. Eines düsteren, trüben Märzmorgens um zwei Uhr schrillte sie los, und ich sprang sofort aus den Federn, weil ich wusste, dass sie uns diesmal nicht zum Narren hielt. Die Tür zum Badezimmer befand sich auf meiner Seite des Bettes. Ich ging hinein, drehte das Gas an, sah auf den Signalgeber undschaltete, um den Lärm abzustellen, den Alarm – für die betreffende Tür – aus. Dann ging ich wieder zu Bett. Mrs. Clemens eröffnete die Debatte:
»Was war’s denn?«
»Die Kellertür.«
»Glaubst du, es war ein Einbrecher?«
»Ja«, antwortete ich, »natürlich. Glaubst du etwa, es war der Sonntagsschulhausmeister?«
»Nein. Worauf, glaubst du, hat er’s abgesehen?«
»Ich nehme an, er
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