Meine geheime Autobiographie - Textedition
verschickt wurden. So war das Buch immer außer Gefahr. In ganz Amerika gab es nicht einen Mann der Feder, der die Courage besaß, in dem Buch etwas zu finden, das nicht schon Mr. Howells gefunden hatte – in Amerika gab es nicht einen Mann der Feder, der den Mut aufbrachte, auf eigene Verantwortung etwas Kühnes und Originelles über das Buch zu sagen.
Ich glaube, dass das Handwerk des Literatur-, Musik- und Theaterkritikers das nichtswürdigste aller Handwerke ist und keinen wirklichen Wert besitzt – jedenfalls keinen großen. Als Charles Dudley Warner und ich im Begriff waren,
Das vergoldete Zeitalter
herauszubringen, überredete mich der Herausgeber des
Daily Graphic
, ihm ein Vorausexemplar zu überlassen, und gab mir sein Ehrenwort, dass in seiner Zeitung keine Besprechung erscheinen würde, bevor nicht das
Atlantic Monthly
es rezensiert hätte. Binnen drei Tagen veröffentlichte dieses Reptil eine Besprechung. Ich konnte mich nicht wirklich beschweren, weil er mir als Sicherheit nur sein Ehrenwort gegeben hatte; ich hätte ihm etwas Gewichtiges abverlangen sollen. Ich glaube, in der Hauptsache befasste sich seine Besprechung nicht mit den Stärken oder den Schwächen des Buchs, sondern mit meiner moralischen Haltung der Öffentlichkeit gegenüber. Ich wurde bezichtigt, mein Ansehen benutzt zu haben, um die Öffentlichkeit zu beschwindeln; das Buch sei mindestens zur Hälfte von Mr. Warner verfasst worden und ich hätte meinen Namen dazu verwendet, um den Markt damit zu überschwemmen und ihm Verbreitung zu sichern; eine Verbreitung – so beteuerte der Kritiker –, die es ohne meinen Namen nicht hätte erreichen können, daher sei mein Verhalten ein schwerer Betrug am Volk. Der
Daily Graphic
war auf keinem Gebiet eine Autorität. Er zeichnete sich nur dadurch aus, dass er die erste und einzigeillustrierte Tageszeitung war, die die Welt gesehen hatte; aber er hatte keinen Charakter; wurde schlecht und schlampig redigiert; seine Meinung zu einem Buch oder irgendeinem anderen Kunstwerk war unerheblich. Das wusste jeder, und doch schrieben alle Kritiker Amerikas, einer nach dem anderen, von der Kritik des
Daily Graphic
ab und erhoben gegen mich den Vorwurf unredlichen Verhaltens; lediglich die Ausdrucksweise variierte. Selbst die große
Chicago Tribune
, die wichtigste Zeitung im Mittleren Westen, konnte sich nichts Neues ausdenken, sondern machte sich die Ansicht des bescheidenen
Daily Graphic
zu eigen einschließlich des Vorwurfs der Unredlichkeit.
Aber lassen wir das. Es ist der Wille Gottes, dass wir Kritiker, Missionare, Kongressabgeordnete und Humoristen haben, und so müssen wir diese Last tragen. Unterdessen scheine ich selbst in die Kritik abgerutscht zu sein. Aber das macht nichts. Schlimmstenfalls ist Kritik nichts weiter als ein Verbrechen, und damit kenne ich mich aus.
Worauf ich die ganze Zeit hinauswill, ist dies: Der erste Kritiker, der je Gelegenheit hatte, meine persönliche Erscheinung zu beschreiben, spickte seine Darstellung mit törichten und unentschuldbaren Irrtümern, die alle in dem Ergebnis mündeten, ich sei ausgesprochen und besorgniserregend unschön. Diese Darstellung spukte in den Zeitungen des ganzen Landes herum und wurde ein Vierteljahrhundert lang ständig gebraucht und verschlissen. Es will mir seltsam erscheinen, dass sich offenbar im ganzen Land kein einziger Kritiker fand, der mich genauer betrachtet und den Mut gehabt hätte, zur Feder zu greifen und dieser Lüge den Garaus zu machen. Diese Lüge begann ihren Lauf 1864 an der Pazifikküste; man verglich meine individuelle Erscheinung mit der von Petroleum V. Nasby, der dort Vorträge gehalten hatte. Danach konnte fünfundzwanzig Jahre lang kein Kritiker eine Beschreibung von mir liefern, ohne zur Abrundung meines Porträts Nasby zu bemühen. Ich kannte Nasby gut, und er war ein feiner Kerl, aber in meinem ganzen Leben bin ich nicht gegen mehr als drei Menschen so bösartig gewesen, ihnen Ähnlichkeit mit Nasby vorzuwerfen. So etwas kränkt mich zutiefst. Es kränkt mich noch heute. Ich war immer gutaussehend. Außer einem Kritiker hätte das jeder sehen können. Und für meine Familie – Susy eingeschlossen – war es lange eineQual, dass die Kritiker Jahr für Jahr diesen ermüdenden Fauxpas begingen, wo es doch dafür überhaupt keine Grundlage gab. Selbst wenn ein Kritiker besonders freundlich und höflich zu mir sein wollte, traute er sich nicht, über meine Kleidung hinauszugehen. Nie wagte er sich über diese
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