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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Spieler und Gentleman, und erklärte sich bereit, seine Schulden zu begleichen, die sich auf etwa eine Million beliefen. Allerdings erklärte sie sich nur bereit, die bestehenden Schulden zu begleichen, nicht die künftigen. Mittlerweile sind die künftigen die gegenwärtigen geworden und kolossal. Heute klagt sie auf Trennung von ihrem armseligen Erwerb, und die Anteilnahme und das Mitgefühl der Welt gelten, wie es sich gehört, ihr.
    Kinney ging an die Wall Street, um ein Jay Gould zu werden und die Unschuldigen zu metzeln. Dann verschwand er von der Bildfläche. Fünfunddreißig Jahre lang habe ich ihn nicht gesehen und nichts von ihm gehört. Dann – das war vor einigen Monaten – begegnete ich auf dem Broadway einem abgerissenen und zerlumpten Stadtstreicher, der sich fünfundzwanzig Cent von mir lieh. Vermutlich um sich ein paar Schnäpse zu kaufen. Er wirkte ziemlich müde und schien sie gebrauchen zu können. Es war Kinney. Seine Eleganz war dahin; man sah ihm sein Alter, seine Vernachlässigung, seine Sorgen an und jenes Etwas, das erkennen lässt, dass ein langer Kampf zu Ende und die Niederlage akzeptiert worden ist.
     
    Mr. Langdon war ein Mann, dessen Charakter und Veranlagung sich fast ausschließlich aus Vorzügen zusammensetzten. Ich glaube, dass ihm auch Größe innewohnte – tatkräftige Größe – und dass diese sich gezeigt hätte, wenn er in einem großen Teich gefischt hätte statt in einem kleinen unbekannten. Einmal wäre er um ein Haar einer der großen Eisenbahnmagnaten Amerikas geworden.
    Dienstag, 20. Februar 1906
    Über Konteradmiral Wilkes – Und eine Begegnung mit Mr. Anson Burlingame
in Honolulu
    MRS. MARY WILKES TOT

    Florenz, Italien, 19. Febr. – Mrs. Mary Wilkes, Witwe des Konteradmirals Wilkes, U. S. Navy, im Alter von fünfundachtzig Jahren gestorben.
     
    Es sind Todesanzeigen wie diese, die mir gewissermaßen begreiflich machen, wie lange ich schon lebe. Sie vertreiben den Nebel von der Straße meines Lebens und erlauben mir flüchtige Blicke auf die Anfänge – auf Dinge, die unglaublich weit entrückt scheinen.
    Als ich ein Junge von zehn Jahren war, in dem Dorf am Mississippi, das damals so unermesslich weit von jedem Ort entfernt war und heute allen Orten so nahe ist, war der Name des Forschers Wilkes in aller Munde, so wie heute der Roosevelts. Was für einen Lärm er machte; wie wundervoll sein Ruhm! Wie fern und leise er heute ist. Und sein Ruhm ist zu bloßer Überlieferung verblichen. Wilkes hatte eine neue Welt entdeckt und war ein neuer Kolumbus. Jene Welt verwandelte sich danach vor allem in Eis und Schnee. Aber es war nicht
alles
Eis und Schnee – und in unseren späten Tagen entdecken wir sie wieder, und das Interesse der Welt an ihr ist neu erwacht. Wilkes war auch in anderer Hinsicht ein Wunder, denn er hatte mit seinen Schiffen den Erdball umrundet und dessen entfernteste Winkel, dessen Traumländer mit eigenen Augen gesehen – Namen und Orte, die eher als Schatten und Gerüchte existierten denn als Realitäten. Heute dagegen besucht jeder diese Orte, auf Ausflügen und Sommerexkursionen, und Ruhm lässt sich damit nicht erwerben.
    Einer der letzten Besuche, die ich in Florenz machte – es war vor zwei Jahren –, galt Mrs. Wilkes. Sie hatte nach mir geschickt und mich eingeladen, und es kam mir wie ein Kapitel aus dem Bereich des Romantischen und Unmöglichen vor, als ich in das sanfte Gesicht der Frau blickte, die an jenem längst vergessenen Ruhm teilhatte. Wir unterhielten uns über die gewöhnlichenDinge des Tages, aber mein Geist war woanders. Er wanderte mit dem jungen Ehemann dieser patriarchalischen Dame durch Schneestürme und über Eisschollen, durch die Nebel und Geheimnisse der Antarktis. Nichts Denkwürdiges wurde gesagt; nichts Denkwürdiges ereignete sich. Und doch hat mich selten ein Besuch so beeindruckt wie dieser.
     
    Es folgt ein angenehmer und willkommener Brief, der mich abermals in die Vergangenheit stürzt.
     
    Knollwood
    Westfield, New Jersey
    17. Februar 1906
    Mein lieber Mr. Clemens,
    ich möchte Ihnen sagen, wie sehr ich Ihnen für einen Artikel danke, den Sie vor langer Zeit (1870 oder 71) über meinen Großvater Anson Burlingame geschrieben haben.
    Als ich die interessanten Familienpapiere und -briefe durchsah, die diesen Winter in meinen Besitz gelangt sind, hat mich nichts tiefer beeindruckt als Ihre Hommage. Ich habe sie wieder und wieder gelesen. Sie war in ein Sammelalbum eingeklebt und offenbar aus einer

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