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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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ich es nicht ab. Um nichts in der Welt hätte ich diesen Aberglauben zerstreuen wollen. Er besänftigte eine lange empfundene Unsicherheit. Stets sind wir darauf bedacht, eher wegen eines Talents gerühmt zu werden, das wir
nicht
besitzen, als für die fünfzehn gelobt zu werden, die uns tatsächlich zu eigen sind.
    All das geschah 1870. Fünfunddreißig Jahre sind seitdem vergangen, und vor einem Jahr saß Charley in diesem Haus, an diesem Bett und bemerkte beiläufig, wenn er einen Moment auswählen müsste, den er für den stolzesten seines Lebens halte, so würde er sagen, es sei der Moment gewesen, als er Mr. Sage die Bilanz gezeigt und dieser gesagt habe: »Junge, so wie du aussiehst, hast du eine der besten Nasen für Geschäfte, die mir je untergekommen sind.«
    Wieder sagte ich nichts. Wozu auch? Ohne Zweifel hatte sich diese Aneignung meines großen Erfolgs schon vor vielen Jahren in Charleys Kopf festgesetzt,und mit Argumenten und Überredungskünsten hätte ich ihr nicht beikommen können. Das vermag nur Dynamit.
    Ich frage mich, ob wir nicht alle so gemacht sind. Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir alle die Leistungen anderer Menschen bewundern lernen und dann wieder und wieder davon erzählen, bis wir, unmerklich und ohne es zu ahnen, den Leistungsträger beiseiteschieben und selbst seinen Platz einnehmen. Ich kenne einen solchen Fall. Im Zimmer nebenan finden Sie ein umfangreiches Manuskript, die Autobiographie meines Bruders Orion, der zehn Jahre älter war als ich. Er schrieb sie vor zwanzig Jahren auf meinen Vorschlag hin und brachte sie mir von Keokuk, Iowa, mit nach Hartford. Ich hatte ihn gedrängt, alle Ereignisse seines Lebens, an die er sich erinnern konnte, zu Papier zu bringen und sich nicht auf jene zu beschränken, auf die er stolz ist, sondern auch die zu erwähnen, deren er sich schämt. Ich sagte, meiner Meinung nach werde ihm dies nicht gelingen, denn wenn überhaupt irgendjemand es bewerkstelligen könnte, hätte man es längst getan. Die Tatsache, dass es noch nie getan wurde, beweist nur, dass es nicht getan werden kann. Benvenuto erzählt eine Reihe von Begebenheiten, für die jeder
andere
Mensch sich schämen würde, doch die Tatsache, dass er sie erzählt, scheint ein stichhaltiges Indiz zu sein, dass er selbst sich ihrer nicht schämte; und dasselbe gilt, glaube ich, auch für Rousseau und seine
Bekenntnisse
.
    Ich drängte Orion zu versuchen, die Wahrheit zu sagen, und zwar die ganze Wahrheit. Ich sagte, natürlich werde er die Wahrheit
nicht
sagen können – er werde über ein beschämendes Erlebnis nämlich nicht erfolgreich lügen können, die Wahrheit werde sich durch die Lügen einfach hindurchschmuggeln, dagegen sei er machtlos – eine Autobiographie sei immer zweierlei: eine absolute Lüge und eine absolute Wahrheit. Der Verfasser liefert die Lüge, der Leser liefert die Wahrheit – das heißt, er findet zu dieser Wahrheit durch Einsicht. In seiner Autobiographie übernimmt mein Bruder einen Vorfall, der sich in
meinem
Leben zutrug, als ich zweieinhalb Jahre alt war, und macht ihn sich zu eigen. Ich vermute, dass er mich oft davon hatte erzählen hören. Ich vermute, dass er irgendwann dazu übergegangen war, den Vorfall selbst zu erzählen, und ihn etliche Male zu oft erzählte – so oft, dass es amEnde
sein
Abenteuer war und nicht länger das meine. Ich glaube, ich habe den Vorfall schon erwähnt, will ihn aber noch einmal kurz schildern.
    Als unsere Familie aus dem Weiler Florida, Missouri, mit Planwagen in das dreißig Meilen entfernte Hannibal am Mississippi fuhr, vergaß man die Kinder zu zählen, und ich blieb zurück. Ich war zweieinhalb Jahre alt. Ich spielte in der Küche. Ich war mutterseelenallein. Ich spielte mit einer kleinen Pyramide aus Schrotmehl, das durch ein Loch, das eine Ratte ins Mehlfass genagt hatte, auf den Fußboden gerieselt war. Bald merkte ich, wie still, wie bedrohlich es war; und meine Seele füllte sich mit namenlosen Schrecken. Ich rannte durch das Haus; fand es leer, still, stumm – schrecklich stumm, entsetzlich still und verlassen. Alle Lebewesen fort; ich der einzige Bewohner des Erdballs, und die Sonne ging unter. Dann traf zu Pferd ein Onkel von mir ein, um mich zu holen. Die Familie war, ich weiß nicht wie viele Stunden, friedlich ihres Weges gezogen, bevor endlich jemand das Unglück entdeckte, das geschehen war.
    In seiner Autobiographie erzählt mein Bruder völlig ernst von diesem Vorfall, gibt ihn als eigenes

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