Meine geheime Autobiographie - Textedition
vierhunderttausend – Dollar beliefen, mussten beglichen werden; eine Hälfte etwa in einem Monat, die andere etwa in zwei Monaten. Und die Einnahmen, aus denen diese Verpflichtungen bedient werden sollten, würden erst danach erfolgen. Als Mr. Langdon noch am Leben war, hätten ihn derlei Verbindlichkeiten nicht in Verlegenheit gebracht. Er hätte in der Stadt oder in New York zur Bank gehen und sich das Geld ohne weiteres leihen können, aber für die Jungs bestand diese Möglichkeit nicht. Hundertfünfzigtausend Dollar konnten sie sich sofort in bar auszahlen lassen, das war alles. Das war Mr. Langdons Lebensversicherung. Sie wurde unverzüglich ausgezahlt – damit kamen sie allerdings nicht weit – das heißt nicht weit genug. Es fehlte nicht viel – eigentlich nur fünfzigtausend Dollar, aber woher nehmen? Das war die Frage. Sie schrieben an Mr. Henry W. Sage in Ithaca, einen alten, warmherzigen Freundund früheren Geschäftspartner Mr. Langdons, und baten ihn, nach Elmira zu kommen, um sie zu beraten. Er bestätigte seinen Besuch. Dann, zu meiner Bestürzung, bestimmte die junge Firma
mich
dazu, die Gespräche mit ihm zu führen. Es war, als hätte man mich aufgefordert, eine Finsternis zu berechnen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich ansetzen oder was ich sagen sollte. Sie aber brachten mir die große Bilanzaufstellung ins Haus, setzten sich mit mir in die Bibliothek und erklärten und erklärten und erklärten, bis ich endlich eine recht klare Vorstellung davon hatte, was Mr. Sage zu sagen war.
Als Mr. Sage eintraf, gingen er und ich in die Bibliothek, um die Bilanz zu prüfen, währenddessen die Firma in einem anderen Teil des Hauses wartete und zitterte. Als ich Mr. Sage die Lage erläutert hatte, wurde ich wieder vom Blitz getroffen – will sagen, er versetzte mich neuerlich in Erstaunen. Er war ein Mann mit einem geraden Mund und einem wunderbar markanten Kinn. Er war die Sorte Mann, die sich ganz auf eine Sache konzentriert und, solange der andere seinen Fall vorträgt, diesen Mund fest geschlossen hält. Während meiner langen Ausführungen wäre ich schon für den kleinsten Wink von ihm dankbar gewesen, der mir verraten hätte, dass ich wenigstens irgendeinen Eindruck bei ihm hinterließ, ob einen günstigen oder nicht. Er aber ließ mich die ganze Zeit zappeln, und ich bekam keinerlei Hinweise, was ihm durch den Kopf ging. Endlich ergriff er das Wort mit jener robusten Entschlossenheit, die Teil seines Charakters war, und sagte:
»Mr. Clemens, Sie verfügen über eine so gute Nase für Geschäfte, wie sie mir seit Jahren nicht untergekommen ist. Warum sind Sie Autor? Sie sollten Geschäftsmann sein!«
Ich wusste es besser, doch das zu sagen wäre undiplomatisch gewesen, und so unterließ ich es. Dann sagte er:
»Alles was ihr Jungs braucht, ist ein Schuldschein von mir über fünfzigtausend Dollar mit einer Laufzeit von drei Monaten. Den reicht ihr bei der Bank ein, und mit dieser Sicherheit braucht ihr das Geld gar nicht. Sollte es nötig werden, die Laufzeit zu verlängern, sagt ihr Mr. Arnot, dass sie verlängert wird. Das Geschäft ist gesund. Macht weiter so und habt keine Angst. Ich bin überzeugt, dass ihr mir den Schuldschein nach Ablauf der drei Monatezurückgeben werdet, ohne auch nur einen Dollar in Anspruch genommen zu haben.«
Es kam genau so, wie er es gesagt hatte. Der alte Mr. Arnot, der schottische Bankier, ein sehr reicher und sehr vorsichtiger Mann und lebenslanger Freund von Mr. Langdon, wachte über die junge Firma und gab ihr aus seinem reichen Vorrat an kommerzieller Klugheit Empfehlungen, und nach Ablauf der drei Monate war die Firma ein etabliertes und expandierendes Unternehmen, der Schuldschein wurde Mr. Sage zurückgeschickt, ohne dass wir ihn hatten in Anspruch nehmen müssen. Es war ein kleines Stück Papier, unbedeutend in seinen Ausmaßen, unbedeutend die Summe, die es repräsentierte, doch kolossal seine Wirkung und kolossal seine Macht durch den Mann, der dahinterstand.
Die Sages und die Twichells waren eng miteinander befreundet. Ein oder zwei Jahre später kam Mr. Sage nach Hartford, um Joe zu besuchen, und kaum war er wieder abgereist, kam Twichell zu uns herüber, begierig, mir etwas zu erzählen; etwas, was ihn erstaunt hatte und von dem er glaubte, dass es auch mich erstaunen würde. Er sagte:
»Mark, weißt du was? Mr. Sage, einer der besten Geschäftsmänner Amerikas, sagt, dass du eine ganz außergewöhnliche Geschäftsbegabung hast.«
Wieder stritt
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