Meine geheime Autobiographie - Textedition
Es stellte sich als wahr heraus. Denn an dem Vormittag hatte er zwei Stunden lang einem Stenographen diktiert, nie nach Worten gesucht und sich nicht wiederholt, und als das Manuskript fertig war, bedurfte es keiner Überarbeitung. Die zweistündige Arbeit war eine Schilderung des Gefechts von Appomattox – ein so außerordentlich wichtiger Bestandteil seines Buches, dass es ohne ihn überaus dürftig ausgefallen wäre. Schon früher hatte ich deshalb einmal einen Stenographen mitgebracht, um zu sehen, ob ich ihn nicht dazu bewegen könnte, wenigstens ein paar Zeilen über Appomattox zu schreiben. 17 Aber damals war er nicht gesund genug, um sich dieser Aufgabe zuunterziehen. Mir war bekannt, dass von den hundert verschiedenen Schilderungen von Appomattox nicht eine wirklich zutraf. Deshalb war ich darauf aus, dass er die Wahrheit hinterließ. Seine Kehle schmerzte ihn nicht, und seine Stimme klang viel besser und kräftiger als sonst. Er war so glücklich, das Gefecht von Appomattox ein zweites Mal in seinem Leben hinter sich gebracht zu haben – sich die Sache von der Seele geredet zu haben –, dass er gesprächig war wie sein altes Ich. Susy nahm er sehr freundlich auf, und dann fing er an, über gewisse Angelegenheiten zu reden, die er hoffte am nächsten Tag diktieren zu können; unter anderem sagte er, er wolle eine Frage, die von Mund zu Mund und von Zeitung zu Zeitung gegangen war, ein für alle Mal beantworten. Die Frage: »Wessen Idee war es, ans Meer zu marschieren? War es Grants Idee, oder war es Shermans Idee?« Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob ich oder jemand anders (darauf bedacht, diese wichtige Frage entschieden zu wissen) ihn danach gefragt hatte. Aber an seine Antwort erinnere ich mich. An sie werde ich mich immer erinnern. General Grant sagte:
»Keiner von uns beiden kam auf die Idee zu Shermans Marsch ans Meer. Es war der Feind.«
Er führte weiter aus, dass ein Feind viele der Pläne entwickelt, für die der General der Gegenseite die Lorbeeren einheimst; gleichzeitig bietet er Angriffsflächen, die der gegnerische General erkennt und sich zunutze macht. In diesem Fall hatte Sherman natürlich einen Plan entworfen. Er wollte die beiden verbleibenden Eisenbahnlinien in jenem Teil des Landes zerstören, damit wäre die Region erledigt. General Hood spielte jedoch nicht die ihm zugedachte militärische Rolle. Im Gegenteil, er griff Chattanooga an. Das eröffnete Sherman die Möglichkeit, ans Meer zu marschieren, und nachdem er einen Teil seiner Armee abkommandiert hatte, den Raum, den er in der Region von Chattanooga gewonnen hatte, zu verteidigen und zu halten, war er vollkommen frei, mit dem Rest der Armee durch Georgia vorzurücken. Er sah die Gelegenheit und wäre für seinen Posten nicht geeignet gewesen, hätte er sie nicht zu ergreifen gewusst.
»Er (es spricht der General) schrieb mir, wie sein Plan aussah, und ich ließ ihm melden, er solle losmarschieren. Mein Stab lehnte den Aufbruch ab.« (Ich glaube, der General sagte, man habe versucht, ihn zu überreden, Sherman aufzuhalten. Der Stabschef, sagte der General, sei sogar so weit gegangen, ohne sein Wissennach Washington zu reisen, um sich Gehör bei der Obrigkeit zu verschaffen, und es sei ihm gelungen, so viel Furcht hervorzurufen, dass man General Grant telegraphierte, er möge Sherman aufhalten.)
Dann sagte General Grant: »Aus Rücksicht auf die Regierung telegraphierte ich Sherman und ließ ihn vierundzwanzig Stunden haltmachen; und dann, als auf die Regierung genug der Rücksicht genommen war, telegraphierte ich ihm, er solle weitermarschieren.«
Ich habe nicht versucht, die Ausdrucksweise des Generals wiederzugeben, sondern nur den wesentlichen Inhalt. Was mich am meisten beeindruckte, war seine knappe Bemerkung, der Feind habe die Idee zum Marsch ans Meer gehabt. Sie beeindruckte mich, weil sie die Neigung des Generals zu knappen Pointen verdeutlicht – mit einem einzigen präzisen Satz eine Menge auszusagen. (Dies ist mein mit »Mark Twain« gezeichneter Bericht.)
Susy fährt fort
Als Papa und General Grant ihr Gespräch beendet hatten, fuhren wir wieder ins Hotel, wo sich Mama aufhielt, und Papa erzählte ihr von seinem Gespräch mit General Grant. Mama und ich verbrachten einen schönen ruhigen Nachmittag zusammen.
Dieses Paar treuer Gefährtinnen tat sich immer zusammen, wenn sich die Gelegenheit zu dem bot, was Susy »eine gemütliche Zeit« nannte. Von Susys Kindertagen an bis zum Ende
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