Meine geheime Autobiographie - Textedition
darüber zu sprechen, und alles in allem war
es ohnehin ein schmerzliches Thema. Tom Sawyers Höhle misst sieben Meilen – das heißt, der
aufragende Bergrücken, der die Höhle verbirgt, erstreckt sich sieben Meilen am Ufer des Mississippi
entlang bis zur Stadt Saverton.
Für eine Weile ging auch Reuel Gridley auf unsere Schule. Er war schon älter, vielleicht
zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig. Dann kam der Mexikanische Krieg, und er meldete sich freiwillig.
In unserer Stadt wurde eine Infanteriekompanie aufgestellt, und man ernannte Mr. Hickman, einen
hochgewachsenen, aufrechten, gutaussehenden Athleten von fünfundzwanzig Jahren, zum Captain, der
fortan ein Schwert an seiner Seite und einen breiten gelben Streifen an den grauen Hosenbeinen trug.
Und wenn die Kompanie in ihren eleganten Uniformen die Straßen auf und ab marschierte – was sie
mehrmals täglich tat –, wohnten, wann immer der Stundenplan es zuließ, sämtliche Jungen dem Drill
bei. Ich habe die marschierende Kompanie noch deutlich vor Augen und kann fast noch das verzehrende
Verlangen spüren, mich ihr anzuschließen. Aber es gab keine Verwendung für Zwölf- und
Dreizehnjährige, und bevor mir ein anderer Krieg die Chance gab, Menschen zu töten, die man mir
nicht vorgestellt hatte, war mein Verlangen längst erloschen.
Den prächtigen Hickman sah ich noch einmal, hochbetagt. Er schien
der älteste Mann zu sein, den ich je gesehen hatte – ein erstaunlicher, melancholischer Kontrast zu
dem glanzvollen jungen Captain, dem ich viele, viele Jahre vorher dabei zugesehen hatte, wie er
seine Krieger auf das Gemetzel vorbereitete. Hickman ist tot – es ist die alte Geschichte. Genau wie
Susy gefragt hatte: »Wozu ist das alles gut?«
Reuel Gridley zog in den Krieg, und fünfzehn oder sechzehn Jahre
lang hörten wir nichts von ihm. Dann, eines Tages in Carson City, wo ich aufeinem Bürgersteig gerade eine Meinungsverschiedenheit mit einem Redakteur austrug – einem
Redakteur, der für Krieg besser gemacht war als ich –, hörte ich eine Stimme: »Gib’s ihm, so gut du
kannst, Sam, ich stehe hinter dir.« Es war Reuel Gridley. Er sagte, er habe mich nicht an meinem
Gesicht, sondern an meiner gedehnten Sprechweise erkannt.
Etwa zu jener Zeit machte er sich auf zu den Minen am Reese River,
verlor bald darauf in seinem Bergarbeiterlager eine Wahlwette und musste einen fünfzig Pfund
schweren Sack Mehl, dem Backpulver zugesetzt war, kaufen, zu musikalischer Begleitung durch die
Stadt tragen und beim Gewinner der Wette abliefern. Natürlich war ein jeder anwesend, betrunken und
begeistert. Der Gewinner der Wette versteigerte den Sack zugunsten des United States Sanitary Fund,
der Hilfsorganisation für Freiwillige während des Bürgerkriegs. Der Käufer versteigerte ihn erneut
zugunsten des Fonds. Die Spannung wuchs immer weiter. Wieder und wieder wurde der Sack zugunsten des
Fonds versteigert. Per Telegraph erreichte die Nachricht Virginia City. Sie rief große Begeisterung
hervor, und per Telegraph wurde Reuel Gridley inständig gebeten, den Sack nach Virginia City zu
bringen und ihn dort zu versteigern. Er brachte ihn. Ein offener Landauer wurde bereitgestellt,
desgleichen eine Blaskapelle. Mehrmals wurde der Sack in Gold Hill verkauft, dann gegen Abend nach
Virginia City gebracht und abermals verkauft – und wieder verkauft und wieder und wieder, so dass er
dem Hilfsfonds insgesamt zwanzig- oder dreißigtausend Dollar eintrug. Gridley schleppte ihn quer
durch Kalifornien und versteigerte ihn in verschiedenen Städten. In Sacramento und in San Francisco
erzielte er hohe Summen. Er brachte ihn an die Ostküste, verkaufte ihn in New York und in
verschiedenen anderen Städten, brachte ihn dann zu einem großen Jahrmarkt nach St. Louis und
verkaufte ihn erneut, bis er schließlich kleine Kuchen aus dem Mehl machte und für einen Dollar das
Stück verkaufte. Am Ende trug der Sack, der ursprünglich vielleicht zehn Dollar gekostet hatte, dem
Hilfsfonds mehr als zweihunderttausend Dollar ein. Reuel Gridley ist schon seit vielen, vielen
Jahren tot – es ist die alte Geschichte.
In der Schule begegnete ich zum ersten Mal Juden. Ich brauchte eine
ganze Weile, um die Ehrfurcht vor ihnen zu überwinden. In meiner Einbildungwaren sie unsichtbar in den klammen spinnwebenverhangenen Moder der Antike gekleidet. Sie
versetzten mich nach Ägypten, und in meiner Vorstellung bewegte ich mich unter Pharaonen und all den
geheimnisvollen Berühmtheiten einer fernen
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