Meine geheime Autobiographie - Textedition
sehen, sich bei mir melden und mir mein Vermögen entreißen. Volle vier Tage verstrichen, ohne dass sich jemand rührte; dann konnte ich das Elend nicht länger ertragen. Weitere vier würden nicht so gefahrlos und glimpflich ablaufen, dessen war ich gewiss. Ich glaubte das Geld in Sicherheit bringen zu müssen. Also löste ich eine Fahrkarte nach Cincinnati und fuhr in diese Stadt. Dort arbeitete ich mehrere Monate lang in der Druckerei von Wrightson & Company. Ich hatte den Bericht von Leutnant Herndon über seine Entdeckungsreisen auf dem Amazonas gelesen und fühlte mich von dem, was er über Koka zu sagen hatte, mächtig angezogen. Ich entschloss mich, in die Quellgebiete des Amazonas zu reisen, Koka zu ernten, damit zu handeln und ein Vermögen zu machen. Mit dieser prächtigen Idee im Kopf fuhr ich an Bord des Schaufelraddampfers
Paul Jones
nach New Orleans. Einer der Lotsen war Horace Bixby. Nach und nach freundeten wir uns an, und schon bald übernahm ich während seiner Tageswachen häufig das Ruder. In New Orleans angekommen, erkundigte ich mich nach Schiffen, die nach Pará in See stachen, und erfuhr, dass es keine gab und in diesem Jahrhundert wahrscheinlich auch keine mehr geben werde. Es war mir nicht in den Sinn gekommen, mich vor meinem Aufbruch von Cincinnati nach derlei Details zu erkundigen, und jetzt saß ich hier fest. Ich konnte nicht an den Amazonas reisen. Ich hatte keine Freunde in New Orleans und keine nennenswerten Geldreserven. Ich ging zu Horace Bixby und bat ihn, einen Lotsen aus mir zu machen. Er sagte, gegen hundert Dollar Vorauskasse würde er es tun. So stellte ich mich bis nach St. Louis für ihn ans Ruder, lieh mir das Geld von meinem Schwager und schloss den Handel ab. Der Schwager war mehrere Jahre zuvor in meinen Besitz gelangt. Es handelte sich um Mr. William A. Moffett, einen Kaufmann aus Virginia – einen in jeder Hinsicht anständigen Mann. Er heiratete meine Schwester Pamela, und jener Samuel E. Moffett, von dem ichbereits gesprochen habe, war ihr Sohn. Binnen achtzehn Monaten wurde ich ein kompetenter Lotse und versah meinen Dienst, bis der Verkehr auf dem Mississippi aufgrund des ausgebrochenen Bürgerkrieges zum Erliegen kam.
In der Zwischenzeit plagte sich Orion in seiner kleinen Akzidenzdruckerei in Keokuk, und er und seine Frau wohnten bei deren Familie – angeblich als Kostgänger, aber dass Orion jemals in der Lage gewesen wäre, für seine Kost aufzukommen, ist eher unwahrscheinlich. Da er für die Arbeit, die in seiner Druckerei verrichtet wurde, nahezu nichts berechnete, gab es für ihn dort fast nichts zu tun. Es ging einfach nicht in seinen Kopf, dass unrentabel verrichtete Arbeit immer schlechter wird und alsbald nichts mehr wert ist und die Kunden folglich gezwungen sind, sich nach Anbietern umzutun, die die Arbeit besser erledigen, auch wenn sie höhere Preise dafür verlangen. Er hatte mehr als genug Zeit und nahm wieder seinen Blackstone, die Jura-Fibel, zur Hand. Er stellte auch ein Schild auf, das der Öffentlichkeit seine Dienste als Anwalt kundtat. Damals erhielt er nicht einen einzigen Fall, nicht einmal eine Anfrage, dabei war er gewillt, die Rechtsgeschäfte gebührenfrei abzuwickeln und das Briefpapier selbst bereitzustellen. In dieser Hinsicht zeigte er sich immer großzügig.
Schon bald zog er zwei, drei Meilen den Fluss hinunter in eine winzige Siedlung namens Alexandria und stellte das Schild dort auf. Niemand biss an. Inzwischen war er ziemlich auf Grund gelaufen. Indes verdiente ich als Lotse ein Gehalt von zweihundertfünfzig Dollar im Monat, und so unterstützte ich ihn von da an bis 1861, als sein alter Freund Edward Bates, damals Mitglied in Mr. Lincolns erstem Kabinett, ihm einen Posten als Sekretär des neuen Territoriums Nevada verschaffte. Orion und ich brachen in einer Überlandpostkutsche dorthin auf, ich war zuständig für die ziemlich hohen Fahrtkosten und brachte auch das Geld mit, das ich hatte sparen können – schätzungsweise achthundert Dollar in Silbermünzen –, wegen des Gewichts eine ziemliche Plackerei. Wir hatten noch mit einer anderen Plackerei zu kämpfen, mit
Webster’s Ungekürztem Wörterbuch
. Es wog etwa tausend Pfund und bedeutete eine ruinöse Geldausgabe, da das Postkutschenunternehmen zusätzliches Gepäck per Unze berechnete. Für das, was uns dasWörterbuch an zusätzlichen Frachtkosten aufhalste, hätten wir vorübergehend eine ganze Familie ernähren können – dabei war es nicht einmal ein
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