Meine geheime Autobiographie - Textedition
diesem Fall kennt man wenigstens den Ursprung der
Hülse, doch in dem vorliegenden Fall hatte ich die Hülse offenkundig aufbewahrt,
aber sofort vergessen, woher sie stammte. Ein, zwei Jahre lag sie verloren in einem
dunklen Winkel meines Gedächtnisses, dann, als ich eine Widmung benötigte, stellte
sie sich ein und wurde von mir prompt als Kind meiner eigenen fröhlichen Phantasie
aufgefasst.
Ich
war neu, ich war unwissend, noch waren die Geheimnisse des menschlichen Geistes ein
versiegeltes Buch für mich, und törichterweise hielt ichmich
für einen durchtriebenen und unentschuldbaren Verbrecher. Ich schrieb an Dr. Holmes
und erzählte ihm die ganze schmachvolle Geschichte, beschwor ihn mit
leidenschaftlichen Worten, mir zu glauben, dass ich nie die Absicht gehabt hatte,
dieses Verbrechen zu begehen, und mir nicht bewusst gewesen war, es begangen zu
haben, bis ich mit der fürchterlichen Beweislast konfrontiert wurde. Seine Antwort
habe ich verloren; eher hätte ich es mir leisten können, einen Onkel zu verlieren.
An Onkeln habe ich einen Überschuss, viele von ihnen sind ohne jeden Wert für mich,
jener Brief aber war unschätzbar, unonkelhaft und unersetzlich. Darin stieß Dr.
Holmes das freundlichste und heilsamste Gelächter über die ganze Angelegenheit aus
und versicherte mir recht ausführlich und mit hübschen Wendungen, unbewusster
Diebstahl geistigen Eigentums sei kein Verbrechen; ich beginge ihn jeden Tag, er
begehe ihn jeden Tag, jeder Mensch, der auf dieser Erde lebt und schreibt oder
spricht, begehe ihn jeden Tag, und nicht nur ein-, zweimal, sondern jedes Mal, wenn
er den Mund aufmache; alle unsere Formulierungen seien vergeistigte Schatten, die
unsere Lektüren vielfältig werfen; keine unserer hübschen Wendungen sei vollkommen
originell, von uns selbst stecke darin nichts außer einer leichten Abwandlung, die
sich unserem Temperament, unserem Charakter, unserer Umgebung, unseren Überzeugungen
und Assoziationen verdanke; nur diese leichte Abwandlung unterscheide sie von der
Redeweise eines anderen Menschen, präge ihr unseren besonderen Stil auf und mache
sie vorübergehend zu der unsrigen; alles Übrige sei alt, verschimmelt, museumsreif
und rieche nach dem Atem von tausend Generationen, die sie vorher schon in den Mund
genommen hatten!
In den mehr als dreißig Jahren, die seitdem kamen und gingen, habe ich mich davon
überzeugt, dass es stimmt, was Dr. Holmes sagte.
Ich möchte eine Bemerkung zum Vorwort der
Arglosen
anbringen. Im letzten Absatz dieses kurzen Vorworts spreche
ich davon, dass die Eigentümer der
Daily Alta California
auf ihre »Rechte«
an bestimmten Briefen, die ich für diese Zeitung geschrieben hatte, als ich abwesend
und mit der
Quaker City
auf Reisen war, verzichtet hätten. Damals war ich
noch jung, heute bin ich weißhaarig, doch jetzt, da ich diesen Absatz zum ersten Mal
seit vielen Jahren wiederlese, vielleicht zum ersten Mal, seit er geschrieben wurde,
wurmtmich dieses kränkende Wort noch immer. Es waren Rechte,
das stimmt – Rechte, wie sie sich die Starken auf Kosten der Schwachen und
Abwesenden beschaffen. Anfang 66 lud mich George Barnes ein, meine Reporterstelle
bei seiner Zeitung, dem
San Francisco Morning Call
, aufzugeben, und
anschließend war ich einige Monate lang ohne Geld und Arbeit; dann aber erlebte ich
eine angenehme Schicksalswende. Die Eigentümer der
Sacramento Union
, einer
großen einflussreichen Tageszeitung, schickten mich zu den Sandwichinseln, wo ich im
Monat vier Briefe für zwanzig Dollar das Stück schreiben sollte. Dort hielt ich mich
vier oder fünf Monate auf, und als ich zurückkehrte, stellte ich fest, dass ich so
ungefähr zum bekanntesten Ehrenmann an der pazifischen Küste geworden war. Thomas
Maguire, Besitzer mehrerer Theater, sagte, es sei der richtige Augenblick, dass ich
mein Glück machte – Schmieden Sie das Eisen, solange es heiß ist! Verlegen Sie sich
aufs Vortragsgeschäft! Das tat ich denn auch. Ich kündigte einen Vortrag über die
Sandwichinseln an und schloss die Anzeige mit der Bemerkung: »Eintritt: ein Dollar;
Einlass ab 7:30, der Ärger beginnt um 8.« Eine wahre Prophezeiung. Der Ärger begann
in der Tat um 8, als ich mich dem ersten Publikum gegenübersah, vor dem ich bisher
gestanden hatte, denn die Angst, die mich von Kopf bis Fuß durchdrang, lähmte mich.
Sie hielt zwei Minuten an und war bitter
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