Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
Vom Netzwerk:
diesem Fall kennt man wenigstens den Ursprung der
     Hülse, doch in dem vorliegenden Fall hatte ich die Hülse offenkundig aufbewahrt,
     aber sofort vergessen, woher sie stammte. Ein, zwei Jahre lag sie verloren in einem
     dunklen Winkel meines Gedächtnisses, dann, als ich eine Widmung benötigte, stellte
     sie sich ein und wurde von mir prompt als Kind meiner eigenen fröhlichen Phantasie
     aufgefasst.
    Ich
     war neu, ich war unwissend, noch waren die Geheimnisse des menschlichen Geistes ein
     versiegeltes Buch für mich, und törichterweise hielt ichmich
     für einen durchtriebenen und unentschuldbaren Verbrecher. Ich schrieb an Dr. Holmes
     und erzählte ihm die ganze schmachvolle Geschichte, beschwor ihn mit
     leidenschaftlichen Worten, mir zu glauben, dass ich nie die Absicht gehabt hatte,
     dieses Verbrechen zu begehen, und mir nicht bewusst gewesen war, es begangen zu
     haben, bis ich mit der fürchterlichen Beweislast konfrontiert wurde. Seine Antwort
     habe ich verloren; eher hätte ich es mir leisten können, einen Onkel zu verlieren.
     An Onkeln habe ich einen Überschuss, viele von ihnen sind ohne jeden Wert für mich,
     jener Brief aber war unschätzbar, unonkelhaft und unersetzlich. Darin stieß Dr.
     Holmes das freundlichste und heilsamste Gelächter über die ganze Angelegenheit aus
     und versicherte mir recht ausführlich und mit hübschen Wendungen, unbewusster
     Diebstahl geistigen Eigentums sei kein Verbrechen; ich beginge ihn jeden Tag, er
     begehe ihn jeden Tag, jeder Mensch, der auf dieser Erde lebt und schreibt oder
     spricht, begehe ihn jeden Tag, und nicht nur ein-, zweimal, sondern jedes Mal, wenn
     er den Mund aufmache; alle unsere Formulierungen seien vergeistigte Schatten, die
     unsere Lektüren vielfältig werfen; keine unserer hübschen Wendungen sei vollkommen
     originell, von uns selbst stecke darin nichts außer einer leichten Abwandlung, die
     sich unserem Temperament, unserem Charakter, unserer Umgebung, unseren Überzeugungen
     und Assoziationen verdanke; nur diese leichte Abwandlung unterscheide sie von der
     Redeweise eines anderen Menschen, präge ihr unseren besonderen Stil auf und mache
     sie vorübergehend zu der unsrigen; alles Übrige sei alt, verschimmelt, museumsreif
     und rieche nach dem Atem von tausend Generationen, die sie vorher schon in den Mund
     genommen hatten!
    In den mehr als dreißig Jahren, die seitdem kamen und gingen, habe ich mich davon
     überzeugt, dass es stimmt, was Dr. Holmes sagte.
    Ich möchte eine Bemerkung zum Vorwort der
Arglosen
anbringen. Im letzten Absatz dieses kurzen Vorworts spreche
     ich davon, dass die Eigentümer der
Daily Alta California
auf ihre »Rechte«
     an bestimmten Briefen, die ich für diese Zeitung geschrieben hatte, als ich abwesend
     und mit der
Quaker City
auf Reisen war, verzichtet hätten. Damals war ich
     noch jung, heute bin ich weißhaarig, doch jetzt, da ich diesen Absatz zum ersten Mal
     seit vielen Jahren wiederlese, vielleicht zum ersten Mal, seit er geschrieben wurde,
     wurmtmich dieses kränkende Wort noch immer. Es waren Rechte,
     das stimmt – Rechte, wie sie sich die Starken auf Kosten der Schwachen und
     Abwesenden beschaffen. Anfang 66 lud mich George Barnes ein, meine Reporterstelle
     bei seiner Zeitung, dem
San Francisco Morning Call
, aufzugeben, und
     anschließend war ich einige Monate lang ohne Geld und Arbeit; dann aber erlebte ich
     eine angenehme Schicksalswende. Die Eigentümer der
Sacramento Union
, einer
     großen einflussreichen Tageszeitung, schickten mich zu den Sandwichinseln, wo ich im
     Monat vier Briefe für zwanzig Dollar das Stück schreiben sollte. Dort hielt ich mich
     vier oder fünf Monate auf, und als ich zurückkehrte, stellte ich fest, dass ich so
     ungefähr zum bekanntesten Ehrenmann an der pazifischen Küste geworden war. Thomas
     Maguire, Besitzer mehrerer Theater, sagte, es sei der richtige Augenblick, dass ich
     mein Glück machte – Schmieden Sie das Eisen, solange es heiß ist! Verlegen Sie sich
     aufs Vortragsgeschäft! Das tat ich denn auch. Ich kündigte einen Vortrag über die
     Sandwichinseln an und schloss die Anzeige mit der Bemerkung: »Eintritt: ein Dollar;
     Einlass ab 7:30, der Ärger beginnt um 8.« Eine wahre Prophezeiung. Der Ärger begann
     in der Tat um 8, als ich mich dem ersten Publikum gegenübersah, vor dem ich bisher
     gestanden hatte, denn die Angst, die mich von Kopf bis Fuß durchdrang, lähmte mich.
     Sie hielt zwei Minuten an und war bitter

Weitere Kostenlose Bücher