Meine geheime Autobiographie - Textedition
Aufrichtigkeit und Kameradschaftlichkeit eines Menschen besitzt, dessen Kontakte mit der Stadt von unbedenklicher Seltenheit gewesen sind. Der Omnibuskutscher unterhält sich nicht einfach gern mit seinen Fahrgästen, vielmehr bevorzugt er für diese Unterhaltung auserlesene Fahrgäste. Diese Meinung gründet auf einigen Bemerkungen, die ein Kutscher Ende Februar gegenüber einem meiner Freunde machte. Irgendwo auf der King’s Road eröffnete mein Freund das Gespräch:
»Sie sind bestimmt froh, dass der Winter so gut wie vorüber ist?«
»Nein, das kalte Wetter stört mich nicht, aber mir gefällt die Strecke nicht.«
»Was ist mit der Strecke?«
»Nun, mir gefällt die Gesellschaft nicht. Immer nur Dorfbewohner, wissen Sie, das sind sie alle. Gutmütig und so, aber kein Stil. Keine Gesprächskultur. Chelsea – Walham Green – Battersea – dieser Menschenschlag halt, wissen Sie. Kein geistiger Horizont. Zuverlässig, ehrlich, unverstellt fromm und all das, aber nur an den abgedroschensten Gemeinplätzen interessiert. Ich verkomme, ich weiß es. Ein Mensch, der einen Bus lenkt, kann von dieser Art geistiger Diät nicht leben.«
»Wo waren Sie denn vorher? Waren Sie da besser dran?«
»Das will ich meinen! Hammersmith – Earl’s Court – Knightsbridge.
Da
gibt’s Gesellschaft! Und Köpfchen. Jawohl, Sir, und Mode. Das Oberdeck sieht aus wie ein Salon der Queen. Und die Konversation – ja, die Konversation bewegt sich auf höchstem Niveau – bis hin zur Schneegrenze. Hoch oben, wo, so könnte man sagen, das intellektuelle Wasser schon bei sechzig Grad kocht. Genau das Richtige. Ich bin’s leid, meins bei hundert Grad kochen zu müssen.«
Der Gleichmut des Kutschers inmitten des Londoner Getümmels verdankt sich zum einen zweifellos seiner Überzeugung, dass er und sein Bus bei Kollisionen nichts zu befürchten haben, zum anderen seinem Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Fügsamkeit seiner Pferde, und schließlich seiner Fähigkeit zu lenken. Droschken- und Wagenkutscher wissen, dass eine Kollision mit einem Bus nichts Erstrebenswertes ist, und sind bemüht, sie zu vermeiden. Der Bus ist eine englische Einrichtung. Damit ist alles gesagt. In der Regel ist jede englische Erfindung neunzehnmal so stark und dreiundzwanzigmal so schwer wie nötig. Der Bus erfüllt diese Anforderungen. Er ist eine schwerfällige große Arche, wiegt Gott weiß wie viel und schert sich um eine Kollision mit einem gewöhnlichen Fahrzeug nicht mehr als irgendein Planet. Schade, dass man das erste englische Fahrrad nicht aufbewahrt hat; es muss mehr als drei Tonnen gewogen haben. Und sollte es je mit einem Eilzug zusammengestoßen sein, dürften die Überreste des Zuges einen spektakulären Anblick geboten haben.
Es ist anregend, den Omnibuskutscher seine Arche lenken zu sehen. Er schlängelt sich durch ein reges Gewimmel von Fahrzeugen und vermeidet eben noch einen Zusammenstoß – manchmal um Ziegelbreite, manchmal nur um Haaresbreite –, und während Sie nach Luft ringen und sich wegducken, plaudert er mit Ihnen über die Schulter hinweg, und seine Hände scheinen meist untätig und er selbst an nichts anderem interessiert als an seinem eigenen Gerede. Er lenkt wunderbar, und doch scheint es ganz von selbst zu gehen, so mühelos wirkt es.
Die Arche wird von nur zwei Pferden gezogen, zwei tüchtigen. Sie sind kräftig und geschmeidig und stattlich, gestriegelt und gepflegt, und auf langen Strecken machen sie nur eine Fahrt am Tag. Sie stammen aus Amerika und kosten rund zweihundertfünfzig Dollar das Stück; nach drei Jahren werden sie verkauft – oft für mehr, als sie ursprünglich gekostet haben – und durch frische Importe ersetzt.
Hier in Wien gilt der Droschkenkutscher – wie in allen anderen Städten Europas – als der geistreichste Mensch und geschickteste Feilscher der Stadt, als geistesgegenwärtig, blitzgescheit und schlagfertig. Das glauben wir immer, wohin wir auch reisen; aber wir müssen es einfach für bare Münze nehmen,weil die Belege dafür nie in unseren persönlichen Erfahrungsbereich fallen. In London ist der Droschkenkutscher für seine klugen Äußerungen bekannt, aber ich selbst habe noch nicht das Glück gehabt, welche zu hören. Vor vielen Jahren in Liverpool – aber das war nichts Geistreiches, das war Humor. Ich war mit dem inzwischen verstorbenen James R. Osgood dort, und wir hatten mehrere Stunden zur Verfügung und viel zu bereden. Es schien eine gute Idee zu sein, uns in einer
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