Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
Vom Netzwerk:
fort, Mrs. Morris’ Rufe zu ersticken.
     
    Der Grund, weshalb ich den Bericht über den Fall Morris, der dieser Tage überall in den Vereinigten Staaten und möglicherweise in der ganzen Welt so viel Aufsehen erregt, hier einfügen möchte, ist folgender. Ohne Zweifel werden diese autobiographischen Notizen eines Tages veröffentlicht werden. Das wird nach meinem Tod geschehen. Vielleicht in fünf Jahren, vielleicht in zehn, vielleicht in fünfzig, doch wann immer die Zeit gekommen ist, selbst wenn es erst in einem Jahrhundert geschieht – ich behaupte, dass der zukünftige Leser das gleiche starke Interesse an dieser Erzählung haben wird, wie es die Welt von heute hat, aus dem einfachen Grund, weil der Bericht über den Vorgang dieselbe Sprache verwendet, die wir natürlicherweise benutzen, wenn wir über etwas reden, das soeben geschehen ist. Diese Form der Erzählung kann das Interesse, das wir heute daran haben, für ewig und drei Tage wachhalten. Wohingegen, wenn sich der Vorfall vor fünfzig oder vor hundert Jahren ereignet und ein Geschichtswissenschaftler ihn ausgegraben, in
seine
Sprache übersetzt und Ihnen eine Fernansicht zur Verfügung gestellt hätte, das Interesse des Lesers erlahmen würde. Sehen Sie, für ihn wäre es keine
Nachricht
, es wäre Geschichte, bloße Geschichte; und mit
Nachrichten
kann die Geschichte, was das starke Interesse anbelangt, keinen Wettstreit für sich entscheiden. Wenn ein Augenzeuge eine außergewöhnliche Begebenheit, die er erlebt hat, in erzählender Form wiedergibt, dann ist das eine
Nachricht
– das ist die Nachrichtenform, und ihre Bedeutung ist absolut unverwüstlich; die Zeit kann auf die betreffende Episode keinen verderblichen Einfluss ausüben. Ich füge diesen Bericht hauptsächlich als ein Experiment ein. Sollte zufällig ein vereinzeltes Exemplar dieses Buches ein Jahrhundert der Papiermühle entgehen und dann wiederentdeckt und gelesen werden, so wette ich, dass jener ferne Leser feststellen wird, dass sie noch immer eine
Nachricht
ist und genauso interessant wie irgendeine der Nachrichten, auf die er in den Zeitungen seiner Zeit am Morgen stößt, falls es Zeitungen dann überhaupt noch gibt – aber wollen wir hoffen, dass es sie nicht mehr gibt.
    Diese Ideen kamen mir im Herbst 1867 in Washington. Das heißt vorneununddreißig Jahren. Ich war von der Expedition der
Quaker City
zurückgekehrt. Ich war nach Washington gegangen, um
Die Arglosen im Ausland
zu schreiben, doch bevor ich mit dem Buch begann, musste ich Geld verdienen, von dem ich währenddessen leben konnte, oder mir welches borgen – was schwierig war – oder welches an mich nehmen, wo es unbewacht herumlag – was unwahrscheinlich war. So gründete ich das erste Syndikat von Zeitungskorrespondenten, das eine unglückliche Welt je sah. Ich gründete es zusammen mit William Swinton, einem Bruder des admirablen John Swinton. William Swinton war ein geniales Geschöpf, hochgebildet, versiert. Er stellte einen solchen Gegensatz zu mir dar, dass ich nicht wusste, wen von uns beiden ich mehr bewundern sollte, denn beide Seiten eines Gegensatzes wirken auf mich gleichermaßen reizend. Eine durch und durch schöne Frau und eine durch und durch hässliche Frau sind Geschöpfe, die ich gern anschaue und die anzuschauen ich nicht müde werde, denn jede ist auf ihre Art vollkommen, und ich glaube, in vielen Dingen, vielleicht in den meisten, ist
Vollkommenheit
die Qualität, die uns fasziniert. Glanzvolle Literatur bezaubert uns;
mich
jedoch bezaubert sie nicht mehr als ihr Gegenteil – Schundliteratur. Ein andermal will ich das Wort »Schundliteratur« erläutern und ein Beispiel dafür anführen, das hier auf dem Bett liegt – ein Buch, das mir neulich aus England oder Irland zugeschickt wurde.
    Swinton hatte einen Krug. Manchmal war dieser voll, aber selten so voll wie er selbst – und wenn er selbst am vollsten war, war er mit seiner Feder am gewandtesten. Einmal in der Woche schrieb jeder von uns einen Brief, kopierte ihn und schickte ihn an zwölf Zeitungen, wobei wir von jeder Zeitung einen Dollar verlangten. Und obwohl wir nicht reich wurden, füllte er doch den Krug und ernährte uns beide halbwegs. Unseren übrigen Lebensunterhalt verdienten wir uns mit Zeitschriftenartikeln. Mein Geschäft in dieser Branche lief besser als seins, da ich nach meiner Rückkehr von der Expedition der
Quaker City
sechs Briefe für die
New York Tribune
geschrieben hatte und einen ziemlich flotten für

Weitere Kostenlose Bücher