Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
Vom Netzwerk:
ein paar Schritte ins Hintertreffen geraten.
    »Was für Geister?«, fragte ich. »Verwunderlich.«
    »Du weißt schon, diese komischen Lichter von den Geistern.« Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Ach, die Irrlichter. Nur in der Nacht. Bei den Bergen. Sind keine Geister. Lumineszenz.«
    »Bei uns glauben sie, dass es Geister sind, die uns nach Hause holen wollen.«
    »Die Leute in Irland glauben das?«
    Biswick konnte nichts verbergen. Ich sah die Lüge in seinen Augenwinkeln, noch ehe er den Mund aufgemacht hatte. »Yeah.«
    In der Ferne rief ein Vogel. Vielleicht ein Falke. Ich hielt mir das Fernglas vor die Augen, konnte aber nichts entdecken. Wir standen an der Elm Street, unweit des Zentrums. Von hier aus würden wir dem alten Highway folgen, bis wir die Bahnschienen erreichten. Ich schaute Biswick an und wunderte mich über seine Angst vor den Irrlichtern. Wie hätte er reagiert, wenn er neulich die Glühwürmchen gesehen hätte - mitten im September? Vielleicht hätte er auch sie für kleine Geister gehalten, die irgendjemanden nach Hause holen wollten.
    »Kann ich nicht ein Eis bei Dairy Queen haben, ein Dilly Bar?«, quengelte Biswick. Ich seufzte.
    »Ich hab doch gesagt, Biswick, Züge am Montag. Mein Zeitplan. Mein SGD. Steht alles hier drin.« Ich zeigte auf das Notizbuch in meinem Korb. »Daran ist nichts zu ändern.«
    »Kann ich später ein Dilly Bar haben?«, versuchte er zu verhandeln. »Was willst du werden, wenn du groß bist?«, fragte er im nächsten Moment.
    Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.« Doch plötzlich
brach es aus mir heraus: »Irgendwann werde ich von hier weggehen. Vielleicht nach New York, wo meine Großmutter Ruth gelebt hat.« Das verlieh dem Ganzen irgendwie mehr Glaubwürdigkeit.
    »Weißt du, dass in New York City 138 verschiedene Sprachen gesprochen werden?«, fragte er. »Reden sie da überhaupt Englisch?«
    »Wahrscheinlich«, antwortete ich lächelnd.
    »Mein Daddy sagt, dass ich nie richtig erwachsen werde«, sagte er nüchtern. »Ich werde immer klein bleiben.«
    Ich machte eine seitliche Kopfbewegung in Richtung des Gepäckträgers. »Warum New York?«, fragte er, während er aufstieg.
    »Weil es weit weg ist.«
    Wir bogen auf den alten Highway ab, Biswick, ich - und Cheeto.

    Was das Eis anging, musste ich einen Kompromiss eingehen. Biswick hätte ja doch nicht aufgehört zu quengeln. Er war der König aller quengeligen Kinder, dachte ich. König Quengel. Gemeinsam mit Bug, die Königin Quengel ist, könnte er Quengelland regieren. Also statteten wir zuerst dem Dairy Queen einen Besuch ab, um König Quengel glücklich zu machen, und fuhren dann zu den Eisenbahnschienen. Doch Biswick aß sein Eis viel zu langsam; die geschmolzene Schokolade und das Vanilleeis liefen ihm über das Handgelenk. Bäh. Als ich zwei Jahre alt war, konnte ich ein Waffeleis essen, ohne auch nur ein einziges Mal zu kleckern. Ich hatte immer eine Waffel mit zwei Kugeln Vanille, die ich rundherum so gleichmäßig ableckte, dass die Symmetrie stets gewahrt wurde. Es sah aus wie eine von Loreleis Frisuren, wenn sie mal wieder
besonders verführerisch sein will. Zumindest konnte ich Biswick irgendwann dazu überreden, endlich den Cheeto wegzulegen - wir wickelten ihn vorsichtig in eine Dairy-Queen-Serviette und verstauten ihn in einem meiner Fahrradkörbe. Er war allerdings nicht sehr glücklich darüber, und ich war nicht sehr glücklich darüber, vielleicht den BNSF 740 zu verpassen.
    Züge waren eine meiner frühen Leidenschaften. Immer ging es um etwas Mechanisches. Zuerst hatten es mir Deckenventilatoren angetan, dann Windmühlen und schließlich die gigantischen Bohrstangen, die sich auf den weiten Ebenen auf und ab bewegten wie die Schnäbel riesiger Vögel. So wie Drachen fesseln Züge bis heute meine Aufmerksamkeit und beflügeln meine Fantasie, wenn sie auf ihrem Weg nach Whiskey durch Jumbo hindurchbrausen. Als ich noch klein war, hat mich Dad manchmal an unseren ganz besonderen Ort mitgenommen, dorthin, wo die alten stählernen Schienen der Union Pacific Eisenbahnlinie am saftigen Weideland entlangführen. Die ungeheure Kraft, der Lärm und die Verlässlichkeit der Züge flößten mir Ehrfurcht und Respekt ein. Schon damals konnte ich an den Vibrationen unter meinen Füßen instinktiv erkennen, ob es sich um einen BNSF 740 oder um die gewaltige Maschine des Union Pacific 9215 handelte. Ich liebte Züge schon damals und ich tue es noch heute. Sie sind wie präzise

Weitere Kostenlose Bücher