Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
Baum herum.
»Brauchen Sie Hilfe, Hell-in?«, rief Bobo Romaine.
»Mama!«, rief ich, während ich mich an einem Ast festklammerte. Ich war nicht in der Lage, nach oben oder nach unten
zu blicken. Von einem auf den anderen Moment hatte ich Höhenangst bekommen.
»Von hier aus kann ich bis nach Whiskey sehen«, sagte Mama heiter. »Die Landschaft ist wirklich wunderschön.«
»Mama!«, raunte ich ihr zu.
»Ist doch nur ein kleines Abenteuer«, entgegnete sie so gelassen, als ob wir am Küchentisch säßen. »Ich spüre, dass du Angst hast, Merilee, aber das brauchst du nicht.« Wenn Bug oder ich uns die Knie aufschürfen, dann empfindet auch Mama einen brennenden Schmerz. Und wenn wir Fieber haben, dann wird ihr ebenfalls heiß. Doch bei mir kommt noch etwas hinzu. Sie spürt mich so direkt, als würde ich in ihrem Körper leben, hat sie mir mal erzählt.
»Ich muss nur kurz verpusten, dann hole ich dein Notizbuch.« Plötzlich taumelte ich nach vorne, griff panisch nach dem nächsten Ast, als ginge es um mein Leben, und kniff die Augen zusammen. Ich stellte mir vor, ein Drache würde aus dem Himmel zu mir herabstoßen und mich mit sich fortnehmen.
»Es ist alles okay, Merilee«, sagte Mama beruhigend, »keine Angst.« Sie atmete einmal tief durch und auch ich machte einen meiner FF-Atemzüge. »Von hier aus kann ich bis zu Ferdies gucken. Dort haben sie Flip-Flops für 99 Cent im Angebot. Und auf der Maple Street hat irgendjemand einen Fallschirm über der Wäscheleine hängen.« Wir sind so verschieden, Mama und ich. Sie hat immer ein Auge für die schönen Seiten des Augenblicks, ich nur für die unangenehmen.
Ich klammerte mich noch fester an den Ast und kniff weiterhin die Augen zu. Ich war mir ganz sicher, dass wir gleich fallen würden.
»Wir fallen nicht, Merilee«, sagte Mama. »Hab Vertrauen, mein Schatz. Gott wird uns nicht fallen lassen.«
Ha! Ich schüttelte den Kopf. Ich glaube nicht an Gott. Wir würden ganz bestimmt fallen.
Unten flog ein Fenster auf. »Hell-in Monroe, komm sofort von meinem Baum runter oder es setzt was!«, schrie Grandma. Die Schaulustigen brachen in brüllendes Gelächter aus. »Das gilt auch für dich, Merilee!«
Plötzlich zuckte ein Blitz. Lola Mae Spivey, die Reporterin unserer Lokalzeitung, machte ein Foto für die Jumbo Times . Es wäre nicht das erste Mal, dass Mama für eine Schlagzeile verantwortlich sein würde. Einmal hat sie vor dem Gerichtsgebäude einen Sitzstreik für den Weltfrieden veranstaltet. Bug hat sogar ein Sammelalbum angelegt, in dem sie Mamas Eskapaden dokumentiert. Ich spürte Mamas Hand auf meiner Schulter. Ich öffnete die Augen. Sie hielt mir mein Notizbuch entgegen. Ich zog es an mich und klammerte mich mit meiner ganzen Seele daran fest.
Siebtes Kapitel
E s war ein überdimensionaler, sensationeller, schier un glaublicher, leuchtend orangefarbener … Cheeto. Ein Käsecracker. »Wo hast du den her?«, fragte ich ihn. Mir war der gigantische versteinerte Snack schon aufgefallen, ehe ich Biswick eines Blickes gewürdigt hatte. Er hielt ihn in seiner Handfläche, als er nach der Schule an unserem üblichen Treffpunkt auf mich wartete. Sein Fund schien ihn in Hochstimmung zu versetzen.
»Den hab ich beim Mittagessen in meiner Chipstüte gefunden«, antwortete er strahlend. »Glaubst du, ich komme damit ins Guinness Buch der Rekorde ? Dann werde ich berühmt.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Verwunderlich. Außerordentlich.« Schon seltsamere Dinge als Riesencheetos hatten es ins Guinness Buch geschafft, obwohl ich auch von einem Jungen gehört habe, der drei Tage lang ununterbrochen in der Nase gebohrt hatte, aber trotzdem nicht aufgenommen wurde, weil man nicht wollte, dass solche unästhetischen Rekordversuche Schule machen.
»Pass auf. Tu das Ding in eine Box.«
»Glaubst du, dass jemand es stehlen will?«, fragte Biswick, dessen Finger sich blitzschnell um seinen Fund schlossen. »Um so berühmt zu werden wie ich?«
»Nee«, antwortete ich, obwohl ich jede Menge Leute in Jumbo kenne, die berühmt werden wollen. Carmen Esparanza, die bei der Jumbo National Bank angestellt ist, träumt
von einer Karriere am Broadway. Dorwood Milton hat heimlich einen Roman geschrieben (im Stil von John Steinbeck, wie er mir anvertraute) und der Eigenbrötler Bum Windpocken-Fox (ein passender Spitzname wegen seines pockennarbigen Gesichts) schreibt unter Pseudonym lange Leserbriefe an die Jumbo Times . Eine tatsächliche Berühmtheit haben wir in Jumbo
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