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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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bleibt hier.« Dann eilte sie davon.

    »Wo will sie denn hin?«, schluchzte Biswick. »Ich dachte, wir suchen nach meinem Daddy.«
    »Weihnachtseinkäufe, Bis«, sagte ich sanft und schloss die Augen. Ich fühlte mein Herz so hart schlagen, dass ich dachte, es würde mir aus dem Leib springen, um Veraleen einzuholen. Bitte. Bitte. Bitte. Es darf ihm nichts passiert sein. Schauerlich. Schauerlich.
    »Es ist Heiligabend«, sagte Biswick wehmütig. »Er verschwindet immer an Heiligabend. Letztes Jahr war es so und vorletztes Jahr auch. Aber er ist immer zurückgekommen. Und wenn er zurückkommt, bringt er mir jedes Mal Pralinen von Hershey mit. Die sind mein Weihnachtsgeschenk.«
    Ein paar Minuten später hörte ich Schritte. Ich öffnete die Augen und sah Veraleen. Ihre großen Augen flackerten panisch, was sie mit einem krampfhaften Lächeln zu überspielen versuchte. Sie setzte sich ins Auto, ließ den Motor an und sagte: »Alles in Ordnung. Ich denke, wir sollten jetzt nach Hause fahren und uns aufwärmen.« Sie keuchte so heftig, während sie den Wagen zurücksetzte, dass ihr Atem den Vordersitz in Nebel hüllte. »Friede seiner Seele«, murmelte sie so leise, dass nur ich sie verstand.
    »Wollen wir nicht weiter nach Daddy suchen?«
    »Wir werden den Pfarrer verständigen«, entgegnete Veraleen. »Der weiß, wo dein Daddy jetzt ist.«
     
    Mama, Daddy und Bug waren unten im Wohnzimmer und schmückten den Weihnachtsbaum, als ich ein paar Minuten später hereinkam. Das machen wir an Heiligabend immer gemeinsam. Wir kaufen jedes Jahr einen echten Baum vor dem Piggly Wiggly. Bug und ich suchen ihn gemeinsam mit Daddy aus, und wenn wir mit ihm nach Hause kommen, streiten sich Mama und Daddy stets darüber, ob er gerade gewachsen ist oder nicht. Doch in diesem Jahr hatte ich das gesamte Ritual
verpasst. Meine Augen richteten sich auf den Weihnachtsbaum, an dem bereits mein weißer Engel funkelte, den ich einst von Grandma Ruth bekommen hatte.
    Im Raum war es still. Mir schien, als verginge eine Ewigkeit, bis jemand zu sprechen anfing. Es war Bug, die aufschaute und sagte: »Jetzt hast du all die schönen …«, doch sie brach mitten im Satz ab, als Veraleen und Biswick in der Tür erschienen.
    Veraleen trug Biswick, der an ihrer Schulter kauerte wie ein hilfloses kleines Baby. Ich blickte aus dem Fenster und dachte an den Dichter, der auf der Müllkippe erfroren war. Die Stille ließ mich an einen von Veraleens Aussprüchen denken:
    So still wie eine Schneeflocke auf einer Feder.
    Veraleen gab uns mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie Biswick nach oben tragen würde. Ich blieb schweigend bei Mama, Daddy und Bug zurück.
    Mama fand als Erste ihre Sprache wieder: »Was ist, Merilee?«
    »Biswicks Daddy … tot … auf der Müllhalde.«
    »Da gehen sie hin, die Lebenden«, meldete sich Grandma plötzlich zu Wort. Ich hatte sie gar nicht gesehen, wie sie in einer Ecke auf einem Stuhl saß und ihre albernen Wintermützen strickte. »Es wird bald schneien.«
    Mama sagte zu Daddy, er solle den Sheriff verständigen.
     
    Grandma behielt recht. In dieser Nacht fing es an zu schneien. Und ein Dieb stahl das Jesuskind aus der lebensgroßen Krippe, die vor der mexikanischen Kirche stand, in die Mama immer ging. Sheriff Bupp entdeckte ein paar Fußspuren im frisch gefallenen Schnee, die bis zu den Figuren von Maria und Joseph führten, die nun ergriffen in die leere Krippe blickten.
    Weiße Weihnachten. Perfekte Weihnachten. Als wir aufwachten,
stellten wir fest, dass einer von Mamas Hunden - wir wussten nicht, welcher - auf alle Geschenke gepinkelt hatte, die unter dem Baum lagen. Und einer von ihnen hatte die Schokolade aufgefressen, die sich in den Weihnachtssocken befunden hatte. Das musste Stinky gewesen sein, der jetzt unter Mamas Bett lag und die Luft verpestete.
    Veraleen erzählte mir später, der Dichter sei genau so gestorben, wir ich ihn das letzte Mal gesehen hatte - friedlich auf der Matratze liegend und mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie sagte, es sei für ihn einfach an der Zeit gewesen. Grandma und Veraleen zufolge hat jeder seine abgemessene Lebenszeit. Doch was soll das eigentlich heißen? Dass es im Voraus feststeht, wann wir sterben werden? Mich beschäftigte nur eine Frage, die sich immerzu in meinem Kopf drehte wie ein hungriger Falke: Wie lange hatte er dort gelegen? War er am Schlafen, als ich ihn gesehen habe? Hätte ich jemandem Bescheid sagen sollen? Sie hätten ihn abholen und wieder ins

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