Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
und verliehen ihm einen warmen Glanz. Fast sah ich hübsch aus. Fast. Könnt ihr euch das vorstellen? Und zum ersten Mal in meinem Leben waren meine Augen nicht leer und leblos wie von jemandem, der bald den Löffel abgibt. Ich steckte das Foto unter mein Pyjamaoberteil und lief die Stufen hinauf. Ich legte es in die Schublade zu meiner Unterwäsche und setzte mich auf die Bettkante. Ich starrte die Schublade lange an. Dann stand ich auf, nahm das Foto heraus und legte es behutsam unter mein Kopfkissen.
Einundzwanzigstes Kapitel
W ie schon gesagt, normalerweise liebt Grandma Beerdigungen. Doch als wir alle schon fertig angezogen zu unserem roten Buick gehen wollten, erschien sie in einem dieser Hausanzüge, die man wirklich nur in den eigenen vier Wänden trägt, und redete davon, dass es für eine Beerdigung viel zu kalt sei. Mama musste mit ihr ins Haus zurückgehen, um ihr etwas Ordentliches anzuziehen. Während der gesamten Fahrt brummte sie vor sich hin: »Der Schnee ist viel zu kalt, Harley. Sie können ihn nicht bei diesem Schnee begraben. Zu kalt. Viel zu kalt.« Ich bedauerte zutiefst, dass Daddy sie nicht zu Hause gelassen hatte, und ich glaube, allen anderen ging es genauso.
Wenn ein Friedhof von Schnee bedeckt ist, wirkt alles heller und freundlicher, als hätte man eine Geisterbahn mit Puderzucker bestreut. Die Oberfläche sieht wunderschön aus, solange man nicht daran denkt, was darunter ist. Ein angenehmer Duft lag in der Luft, als seien irgendwo frisch gewaschene weiße Laken zum Trocknen aufgehängt. In der Ferne hörte ich einen Güterzug pfeifen. Grandma hatte sich wieder einigermaßen beruhigt, als wir uns unter die Trauergemeinde mischten, die sich bereits wie eine Schar Krähen um den Sarg versammelt hatte. Und sie schien beinahe glücklich, als Reverend Ham seine Predigt begann. Jedes Mal wenn er eine Verschnaufpause brauchte, rief sie laut »Amen«.
Lorelei, deren hochgesteckte Haare sich unter einem eckigen
Hut à la Jackie Onassis verbargen, schluchzte in ein Taschentuch. Sie drückte das Buch des Poeten an ihre Brust, klammerte sich regelrecht daran fest, während Dr. Coyote ihr tröstend auf den Rücken klopfte. Neben ihnen stand Sheriff Bupp, der sich ehrerbietig den Hut vor den Bauch hielt.
Wadine Pigg sah mit ihrem vom Schnee gepuderten Bienenstock wie Marie Antoinette aus. Sie hatte die Augen geschlossen, während wir »Be not Afraid« sagten. Ich dachte an eine merkwürdige Formulierung, die Veraleen gestern benutzt hatte: »So klar wie ein Schwein auf dem Sofa.«
Hinter mir nahm ich eine Bewegung wahr, drehte mich halb herum und sah einen weißen Hasen durch den Schnee hoppeln. Ich folgte ihm mit den Augen, bis er hinter zwei Beinen verschwunden war. Sie gehörten Onkel Dal. Er stand hinter dem klapprigen Eingangstor, seine langen Haare hingen lose herunter und waren mit Schnee bedeckt. (Hätte Grandma Birdy sich in diesem Moment umgedreht und ihn gesehen, wäre ihm ein gehässiger Kommentar sicher gewesen.)
Biswick kauerte an meiner Seite und suchte nach Wärme. Doch machte es mich immer nervös, wenn er mir zu nahe kam. Nach einer Weile lehnte er sich in die andere Richtung zu Veraleen, die freudig den Arm um ihn legte. Ich wusste, dass er mit einer Hand den Cheeto in seiner Hosentasche umklammerte.
Nachdem wir ungefähr die Hälfte der Gebete hinter uns gebracht hatten, legte mir Daddy den Arm um die Schultern. Ich weiß, dass ihm das nicht leichtfällt. Ich glaube, dass er mir gegenüber immer ein bisschen befangen ist, nachdem er vor vielen Jahren versucht hatte, mir die Irrlichter zu zeigen. Aber darüber braucht er sich keine Gedanken zu machen, denn auf seine eigene sanfte, stille, unaufdringliche Art hat er mir schon oft geholfen.
Auf der anderen Seite von Daddy stand Mama, den Blick konzentriert in ihre aufgeschlagene Bibel gerichtet. Sie summte leise und klagend vor sich hin. Es war wie der traurige Gesang des Drachen, der sich in einen Vogel verwandelt hatte. Ich konnte sie spüren. So wie sie mich spürte. »Es war Gottes Wille«, hatte sie gestern in der Küche zu mir gesagt. »Dennoch ist es das Traurigste, was ich je erlebt habe.« Die Kälte bereitete Mama Kopfschmerzen. Ich schloss die Augen und hatte für einen kurzen Moment dasselbe Gefühl, das man hat, wenn man ein eiskaltes Sorbet zu schnell hinunterschlingt - als würde einem das Gehirn einfrieren.
Ich warf Biswick einen Blick zu. Es war seine Idee, seinen Vater auf dem alten Friedhof begraben zu
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