Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
Vom Netzwerk:
Gefängnis verfrachten können. Hätte ich doch bloß irgendwas unternommen.
    »Niemand trägt daran die Schuld«, sagte Veraleen am ersten Weihnachtsabend zu mir, dem Abend, an dem man sonst die letzten Stunden eines wundervollen Tages genießt. Wir saßen alle um den Küchentisch herum, tranken warmen Kakao und warteten auf den Sheriff. Inzwischen wussten wir von offizieller Seite, dass der Dichter tot war. Sheriff Bupp hatte Daddy gestern am späten Abend angerufen und es ihm mitgeteilt. Mehr könne er jedoch nicht sagen, fügte er hinzu, ehe Dr. Wilson nicht den Körper des Toten untersucht habe. Bug und Biswick schliefen im ersten Stock. Grandma verabschiedete sich mit den Worten, es lohne sich nicht, um diesen Nichtsnutz zu trauern. Ich schaute ihr verwundert nach, als sie das Haus verließ. Normalerweise ging sie nie so früh ins Bett, schon gar nicht, wenn sich ein Sturm zusammenbraute
oder ein Begräbnis anstand. Normalerweise wollte sie überall dabei sein und zu allem ihren Senf dazugeben.
    Heute früh, als wir unsere bemitleidenswerten, vollgepinkelten Geschenke öffneten, war Grandma in voller Beerdigungsmontur samt ihrem schwarzen Hut erschienen. Nachdem Daddy ihr schonend beigebracht hatte, dass die Beerdigung des Dichters an einem anderen Tag stattfinden würde, brach sie wahrhaftig in Tränen aus. Ich hatte Grandma noch nie weinen sehen. Niemand, nicht einmal Bug, war danach in der richtigen Stimmung, um die Geschenke auszupacken.
    »Niemanden trifft irgendeine Schuld«, wiederholte Veraleen. In schlechten Zeiten neigen die Leute offenbar dazu, sich zu wiederholen. Es scheint sie zu beruhigen, manche Dinge immer und immer wieder zu sagen. Als würden sie dadurch wahrer werden. »Er ist selbst für sein Schicksal verantwortlich.« Ich wartete gespannt auf das Erscheinen von Sheriff Bupp und machte tiefe FF-Atemzüge.
    »Ich wusste einfach nicht, wie es um ihn stand«, sagte Mama, während sie an ihrem Becher nippte. »Wie hätten wir das auch wissen sollen? Und was hat der arme Junge bloß alles durchmachen müssen?« Ich dachte an das Porter House und die blauen Flecke auf Biswicks Arm. Mir wurde immer schwerer ums Herz. Als ich ein Auto auf dem knirschenden Kies hörte, begann der Boden unter meinen Füßen zu schwanken.
    »Hast du das gewusst?«, fragte Daddy. Es lag kein Vorwurf in seiner Stimme. Er wollte es einfach wissen.
    »Irgendwie schon…«, murmelte ich. Jetzt glaubte ich, Schritte im Schnee zu hören. »Mir geht’s nicht gut«, sagte ich und rannte aus der Küche, als jemand an die Hintertür klopfte. Ich lief die Treppe hinauf und ging in mein Zimmer. Die Tür ließ ich einen Spaltbreit offen, damit ich hörte, was unten vor sich ging. Biswick schlief in meinem Gästebett und bekam von alldem nichts mit. Die Hunde schlummerten zu seinen Füßen.
    Veraleen schützte mich. Sie erzählte jedem, sie habe Mr O’Connor zuvor in Richtung Müllkippe gehen sehen und das Gefühl gehabt, dass er immer noch dort sei. Sheriff Bupp sagte, er habe gewusst, wie schlecht es um den Dichter bestellt war, nachdem er ihn mehr als einmal sternhagelvoll am Dixie Drive In gesehen habe. Doch hatte er sich jedes Mal dafür entschieden, ihn seinen Rausch ausschlafen zu lassen. Ich konnte mir vorstellen, wie sie alle mit hängenden Köpfen in der Küche saßen. Obwohl sie im Flüsterton miteinander sprachen, drangen ihre Worte zu mir herauf und schmerzten in meinen Ohren.
    »Dr. Wilson meint, dass er seit mindestens zwei Tagen tot ist«, hörte ich Sheriff Bupp sagen. »Ob es an der Kälte oder am Alkohol lag, lässt sich schwer sagen. Vielleicht an beidem. Weiß irgendjemand, wo die Mutter des Jungen ist?« Stille. Ich wusste, dass alle die Köpfe schüttelten. »Wir können hier keinen zurückgebliebenen Waisenjungen in der Stadt gebrauchen. Entweder holt ihn ein Verwandter ab oder die Behörden sollen sich darum kümmern.«
    Oh Gott. Biswick. Wo war seine Mutter? Ich wusste es nicht. Ob Biswick es selbst wusste? Doch ich kannte ihn besser als jeder andere und hatte eine dunkle Ahnung, dass seine Mutter sich am selben Ort befand wie sein Vater. Dass sie wieder vereint waren. Und Biswick war hier, damit wir uns um ihn kümmerten, ganz gleich was Sheriff Bupp sagte.
    Ich öffnete die Tür und ging langsam die Treppe hinunter. Unter dem Weihnachtsbaum erblickte ich zwischen den anderen Geschenken das Weihnachtsgeschenk für Sheriff Bupp. Es war nicht eingepackt, aber mit einer schlaffen, wiederbenutzten Schleife

Weitere Kostenlose Bücher