Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
hatte, was das plötzliche Verschwinden von Veraleen anging. In dieser Hinsicht habe ich allen etwas vorgemacht. Ich sagte, sie hätte etwas Dringendes in Whiskey zu erledigen, würde aber bald zurückkommen. Ich wollte einfach nicht, dass Biswick jetzt schon die Wahrheit erfuhr. Ich glaubte, er könnte sie im Moment nicht verkraften.
Allerdings schien ihm Veraleens Abwesenheit nicht auf den Magen geschlagen zu sein. Während ich bei der Jumbo Chilimpiade in Mamas Bude saß und Drachen in mein Notizbuch malte, rannte er von Stand zu Stand, um die verschiedenen Chiligerichte zu probieren. Fast alle nahmen an dem Wettbewerb teil, unter anderem der Rotary Club, die texanische Jugendorganisation FFA sowie eine weibliche Abordnung der Holy Hands Baptist Church. »Biswick!«, rief ich ihm nach. »Du wirst dir den Magen verderben!« Aber er tat so, als würde er mich nicht hören, und lief einfach weiter.
Aus unerfindlichen Gründen hatte Mama die verrückte Idee gehabt, mit ihrem Buchladen an dem Wettbewerb teilzunehmen. Sie trug sogar eine Schürze mit der Aufschrift »Die Bücherinsel«. Sie sagte, ab heute beginne ihr neues Leben, und sie wolle nun wirklich lernen zu kochen. »Lass Biswick einfach in Ruhe«, sagte sie zu mir über den Rand ihrer Katzenaugenbrille hinweg, während sie etwas Zucker in ihren großen schwarzen Steinguttopf schüttete. »Das bringt ihn auf andere Gedanken.«
Grandma Birdy sagt, dass Mama mit ihrem alten Rezept »Hot Breath Mountain Chili« sicherlich nicht zu schlagen sein würde. Der heimliche Clou des Rezepts war die Verwendung einer ganzen Flasche Thousand Island Dressing. Ich kenne auch die geheimen Zutaten der anderen Teilnehmer, denn letztes Jahr hatte ich an jedem Stand meine Tootsie Pops ausgeteilt und nach kurzer Zeit hatten sich die ersten Zungen lila gefärbt.
Grandma hatte Mama eigentlich helfen wollen, doch heute Morgen waren plötzlich dunkle, schwere Gewitterwolken am Horizont aufgezogen und hatten den Himmel verdunkelt. Daraufhin hatte Grandma erklärt, sie wolle die schlechten Nachrichten lieber zu Hause abwarten. Der große Sturm war bis jetzt ausgeblieben, doch die Teilnehmer der Chilimpiade mussten sich wegen des eiskalten Winds in der Turnhalle der Schule zuammendrängen.
Bobo Romaine, Cairos Daddy, stand uns gegenüber und rührte konzentriert in seinem Topf. Er war fest entschlossen, diesmal ohne Schummeln zu gewinnen, und meinte, sein Chili mit echtem Gürteltierbauch sei die Sensation des Wettbewerbs. Woher er das Gürteltier hatte, wollte ich lieber nicht wissen. Auf dem alten Highway liegen viele von ihnen herum, die meisten so platt wie Flundern. Neben ihm rührte Mama Peaches in ihrem eigenen Chilitopf. Ihr Sohn Rio, offenbar aus dem Knast
in Huntsville entlassen, half ihr beim Austeilen ihrer berühmten Pfirsichgrütze. Sie hoffte, die Jury würde ihr nachsehen, dass sie für das Chili Maisbrei und Erbsen verwendet hatte, zwei Zutaten, die darin nicht das Geringste zu suchen hatten.
Lorelei, deren Haare aussahen wie ein vom letzten Jahr übrig gebliebenes Vogelnest, erschien mit einer Tüte von Piggly Wiggly, weil Mama das Salz vergessen hatte.
Mama riss sofort die Packung auf und ließ das Salz in ihr Chili rieseln. »Lorelei, warum gehst du nicht kurz rüber zu Cut’N’ Curl - auf meine Rechnung?« Mama konnte ihren Blick nicht von Loreleis Frisur abwenden. Dabei schüttete sie immer mehr Salz in den Topf. Ich warf einen Blick auf Grandmas Rezept. Dort war von einer Prise Salz die Rede, nicht von einer ganzen Packung.
»Alle Läden haben schon zugemacht«, entgegnete Lorelei, während sie auf einem Klappstuhl Platz nahm. »Sie haben einen schweren Schneesturm angekündigt. Draußen fallen schon die ersten Flocken.« Zwei Schneestürme in einem Jahr. Darüber würden noch die Generationen nach uns reden.
Biswick kam wieder mal bei uns vorbeigetrabt. »Ich hab nur ein bisschen Ananaschili bei Myrtle und Minnie probiert!« Er streckte die Zunge heraus, um uns irgendeinen braunen Brocken zu zeigen. Ich musste meinen Kopf abwenden. Allein bei den Gerüchen der dreißig verschiedenen Chiligerichte, die sich in der Turnhalle vermischten, drehte sich mir der Magen um. Mamas Topf verströmte allmählich einen Duft, den es so seit Menschengedenken vermutlich noch nie gegeben hatte. »Irgendwo gibt es Klapperschlangenchili!«, sagte Biswick, als er wieder davonflitzte.
»Wo ist Bug?«, fragte Mama, während sie äußerst freigiebig mit dem Knoblauchpulver
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