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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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für gesund hielt – ersta n den bei Mr Wylie, der in Tor einen Laden hatte. Die Bonbons wurden an Ort und Stelle fabriziert, und wenn man durch die Tür trat, wusste man sofort, was an di e sem Tag hergestellt wurde: Der köstliche Duft von Sahnekaramellen schlug einem entg e gen, das scharfe Aroma von Pfe f ferminze, das schwer zu bestimmende Aroma von Ananas, der schwache Duft des Gerstenzuckers (fade), der praktisch nach gar nichts roch, und das überwältigende Bukett, wenn »Bi r nendrops« an der Reihe waren.
    Es kostete alles acht Pence das Pfund. Ich gab ungefähr vier Pence in der Woche aus – je einen Penny für vier verschiedene Sorten. Ein Penny musste für heimatlose, verwahrloste Kinder gespendet werden (die Samme l büchse stand auf einem Tisch in der Halle), und ab Se p tember wurden ein paar Pence abgezweigt, um für Wei h nachtsgeschenke gerü s tet zu sein. Mit dem Rest bestritt ich die Ausgaben für die Einrichtung und Aussta t tung meines Puppenhauses.
    Was für bezaubernde Dinge es da zu kaufen gab! Mein Salon hatte eine Garnitur Stühle, die mit blauer Seide bespannt waren und die ich mit der Zeit um ein Sofa und einen ziemlich gr o ßen vergoldeten Lehnsessel vermehrte. Es gab Toilettentische mit Spiegeln, polierte runde Es s zimmertische und eine scheußliche, orangerote Speis e zimmergarnitur. Es gab Lampen und Tafelaufsätze und Blumentöpfe und schließlich alles mögliche Haushaltsz u behör wie Bürsten und Ke h richtschaufeln, Besen und Eimer und Kasserollen.
    Bald sah mein Puppenhaus wie ein Möbellager aus.
    Wäre es möglich… könnte ich… noch ein zweites Puppenhaus h a ben?
    Mutter war nicht der Ansicht, dass ein kleines Mädchen zwei Puppe n häuser haben sollte. Wie aber wäre es, schlug sie vor, mit einem kleinen Schrank? Also erwarb ich einen Schrank. Es war die Lösung. Vater hatte schon vor Ja h ren einen großen Raum im Obergeschoss anbauen lassen, um zwei zusätzliche Schlafzimmer einzurichten. Meine Geschwister b e nutzten ihn als Spielzimmer, und das blieb er schließlich auch. An den Wänden standen Bücherreg a le und Schränke, aber die Mitte des Raumes war unb e setzt und frei. Mein Schränkchen hatte vier Fächer, und Mutter fand verschiedene hübsche Tapete n reste, die sie als Teppiche auf die Borde aufklebte. Das u r sprüngliche Pu p penhaus stand nun oben auf dem Schrank, sodass ich jetzt ein sech s stöckiges Haus besaß.
    Mein Haus benötigte natürlich auch eine Familie, die darin wohnte. Ich erstand einen Vater und eine Mutter, zwei Kinder und ein Dienstmä d chen. Mutter nähte ein paar Kleider für sie und klebte dem Vater sogar einen schwarzen Bart und einen Schnurrbart auf. Vater, Mutter, zwei Kinder, ein Mädchen. Es war perfekt. Soviel ich weiß, dichtete ich ihnen keine besonderen Persönlichke i ten an, sie wurden nie »Menschen« für mich – sie existie r ten nur, um das Haus zu bewohnen. Aber wenn ich die Familie um den Esszimmertisch setzte, passten sie wir k lich hinein.
    Zusätzliches Vergnügen bereitete mir das Umziehen. Eine Schachtel diente als Möbelwagen. Die Möbel wu r den aufgeladen, ich zog den W a gen an einer Schnur ein paar Mal im Zimmer herum, bis er im »neuen Haus« ei n traf. (Das geschah mindestens einmal in der W o che.)
    Ich sehe jetzt ganz klar, dass ich noch immer nicht au f gehört habe, mit Häusern zu spielen. Ich habe unzählige Häuser besucht, gekauft, getauscht, eingerichtet, ausge s tattet und baulich verändern lassen. Häuser! Gott segne die Häuser!
     
    Zurück in die Vergangenheit! Woran erinnert man sich nicht alles! Man erinnert sich an glückliche Stunden, man erinnert sich – sehr lebhaft, will mir scheinen – an Angst. Sonderbarerweise ist es schwer, sich Schmerz und B e kümmernis ins G e dächtnis zurückzurufen. Damit will ich nicht sagen, dass ich es nicht kann – ich kann es, aber ohne etwas dabei zu empfinden. In solchen Fällen stehe ich nicht auf der Bühne, ich stehe in den Kulissen. Ich sage: »Das war Agatha, sie war schrecklich unglücklich. Das war Agatha, wie sie Zahnschmerzen hatte.« Aber ich fühle weder das Unglück noch die Zahnschmerzen. U m gekehrt kann mich der Duft eines Lindenbaums an die Verga n genheit erinnern, und plötzlich denke ich an einen Tag, den ich unter Linden verbracht habe, an die Freude, mit der ich mich zu Boden warf und den Duft des heißen Grases ei n atmete, an das beglückende Gefühl eines Sommers, in der Nähe ein Z e dernbaum, dahinter der Fluss…

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