Meine gute alte Zeit - Teil I
in die Öffnung eines Glases fiel, hatte man gewonnen. Das war anfangs ein billiger Spaß. Als sie das erste Mal auf den Rummelplatz kamen, gewa n nen wir elf Stück und trugen sie triumphierend nac h hause, wo wir ihnen im Bottich ein neues Quartier anwiesen. Aber der Preis stieg sehr bald von einem Penny auf sechs Pence pro Ball.
Am Abend wurde ein Feuerwerk abgebrannt. Da wir es von unserem Haus aus nicht sehen konnten – oder nur die ganz hohen Raketen –, verbrachten wir den Abend meistens bei Freunden, die oberhalb des Hafens woh n ten. Die Party begann um neun, es wurden Eiscreme, L i monade und Kekse gereicht. Auch das war in jenen Tagen ein Hochg e nuss, der mir, da ich keinen Alkohol trinke, heute abgeht – die Garden Partys.
Die Garden Partys vor dem Ersten Weltkrieg waren e i ne aufregende Sache. Die Kinder wurden piekfein he r ausgeputzt: Schuhe mit hohen Absätzen, Musselinkleider mit blauen Schärpen, große italienische Stro h hüte mit halb verblühten Rosen. Es gab herrliche Eiscremes – meist standen Erdbeer, Vanille, Pistazien, Orangen und Himbeeren zur Wahl – und dazu alle möglichen Kuchen und Sandwiches, Eclairs, Muskatellertrauben und Nekt a rinen. Daraus schließe ich, dass die Garden Partys pra k tisch immer im August stattfanden. Ich kann mich nicht entsinnen, dass es je Erdbeeren mit Schlagsahne gegeben hätte.
Allerdings musste man, um hinzugelangen, einige U n bilden auf sich nehmen. Leute, die keine eigene Kutsche hatten, mieteten sich einen Wagen, wenn sie alt und g e brechlich waren; aber die Jüngeren, die aus den verschi e denen Teilen Torquays kamen, gingen zweieinhalb bis drei Kilometer zu Fuß; einige hatten das Glück, in der Nähe zu wohnen, andere aber mus s ten ein gutes Stück Weg zurücklegen, denn Torquay liegt über sieben Hügel verstreut. Keine Frage, dass es eine große Strap a ze war, mit hochhackigen Schuhen, den langen Rock mit der linken Hand hochhaltend, einen Sonnenschirm in der rechten, H ü gel hinaufzusteigen. Aber es war der Mühe wert, bei einer Garden Party dabei zu sein.
Ich war elf Jahre alt, als mein Vater starb. Seine Gesun d heit hatte sich allmählich verschlechtert, aber sein Leiden scheint nie genau diagnostiziert worden zu sein. Zweife l los schwächte auch die ständige finanzielle Sorge seine Widerstandskraft gegen jede Art von Kran k heit.
Er war in Ealing gewesen, hatte eine Woche bei seiner Stiefmutter zugebracht und dann einige Freunde in Lo n don besucht, die ihm helfen sollten, einen Posten zu fi n den. Einen Posten zu finden, war d a mals nicht gerade leicht. Man war Rechtsanwalt oder Arzt, man war Gut s verwalter oder arbeitete im Staatsdienst, aber die große Welt der Geschäfte zahlte keine Gehälter, wie man sie heute gewöhnt ist. Es gab große Banken, wie etwa Pie r pont Morgans, wo Vater einige Leute kannte, aber das waren natürlich alles hohe Beamte. Entweder man gehö r te zu einer der Banken und hatte seit seiner Jugendzeit dort gearbeitet, oder man gehö r te nicht dazu. Wie die meisten seiner Alter s genossen hatte auch Vater nie eine Ausbildung genossen.
Seine finanzielle Lage war ihm unverständlich – so u n verständlich, wie sie nach seinem Tod auch seinem Te s tament s vollstrecker war. Es stellte sich die Frage, wohin das Geld, das mein Großvater hinterlassen hatte, ve r schwunden war. Vater hatte in keiner Weise über seine vermeintlichen Verhältnisse gelebt. Auf dem Papier w a ren die Einkünfte vorha n den, aber nie in der Praxis, und dafür gab es immer plausible Erkläru n gen, aus welchen hervorgeht, dass es sich um einen vorübergehenden Ve r zug handelte: wichtige Reparaturarbeiten eben, weiter nichts. Die Treuhänder und ihre Nachfolger hatten das Verm ö gen zweifellos schlecht Verwaltet. Aber jetzt war es zu spät, um die Situation noch zu retten.
Er machte sich Sorgen, draußen war es kalt, er zog sich eine schwere Erkältung zu, die sich zu einer doppelseit i gen Lu n genentzündung entwickelte. Mutter wurde nach Ealing ger u fen, und Madge und ich kamen bald nach. Er war schon sehr krank. Mutter wich Tag und Nacht nicht von seiner Seite. Wir hatten zwei Krankenschwestern im Haus. Unglüc k lich und verängstigt wanderte ich durch die Zimmer und betete andächtig, dass Vater g e sund werden möge.
Ein Bild hat sich in mein Gedächtnis eingegraben. Es war Nachmittag. Ich stand auf dem Treppenabsatz. Plötzlich öf f nete sich die Tür des Schlafzimmers meiner Eltern. Die Hände an die
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