Meine gute alte Zeit - Teil I
nicht, dass der Lehrstoff sehr int e ressant war. In Geschichte na h men wir die Zeit der Fronde durch, über die ich durch die Lektüre historischer Romane ziemlich gut Bescheid wusste. Die Geografiepr o fessorin richtete eine heillose Verwirrung in meinem Kopf an, denn ich musste die französ i schen Provinzen lernen, wie sie zur Zeit der Fronde besta n den, und nicht, wie sie jetzt aussahen. Wir lernten auch die Monatsn a men, wie sie zur Zeit der Französischen Revolution g e bräuchlich waren. Meine Fehler im Französischdiktat ließen die Lehrerin in Panik geraten, sie konnte es kaum glauben. »Vraiment, c’est impossible«, sagte sie. »Vous, qui parlez si bien le français, vous avez fait vingt-cinq fautes en dictée, vingt-cinq!« Fünfundzwa n zig Fehler, obwohl ich doch so gut französisch sprach!
Unter den gegebenen Umständen war das nicht weiter ve r wunderlich, da ich die Sprache ja ausschließlich durch Konversation gelernt hatte. Ich sprach Französisch gelä u fig, aber n a türlich nur nach Gehör, und die Wörter été und était klangen in meinen Ohren eines wie das andere. Dass ich das eine so und das andere so buchstabierte, war re i ner Zufall. In manchen Fächern wie etwa Literatur und Deklamation gehörte ich zu den Besten; in Bezug auf Grammatik und Buchstabieren zu den Schlechtesten. Damit machte ich es meinen armen Lehr e rinnen schwer – und für mich war es beschämend –, aber mir lag ei n fach nichts daran.
Madame Legrand, eine ältere Dame, gab mir Klavieru n te r richt. Sie war schon seit vielen, vielen Jahren an der Anstalt. Ihre Lieblingsm e thode bestand darin, mit ihren Schülerinnen à quatre mains zu spielen. Auch bestand sie darauf, den Mädchen das Notenlesen beizubringen. Ich hatte einige Übung darin, aber mit Madame Legrand vierhändig zu spielen war eine schwere Prüfung. Wir s a ßen zusammen auf der Kl a vierbank, und da Madame Legrand außerordentlich warm gekleidet war, nahm sie den größeren Teil der Sitzgelegenheit für sich in A n spruch und verdrängte mich aus der Mitte der Klaviatur. Sie spielte sehr lebhaft und unter Ei n satz ihrer Ellbogen, die daher ein wenig wegstanden, was zur Folge hatte, dass die unglückl i che Begleiterin einen ihrer eigenen Ellbogen fest an sich pre s sen musste.
Mit einer gewissen angeborenen Schlauheit gelang es mir fast immer, den Bassteil des Duos zu übernehmen. Madame Le g rand ließ sich um so leichter dazu verführen, als sie ihre eigenen Darbietungen sehr genoss, und natü r lich gab ihr die obere Hälfte des Klaviers weit besser G e lege n heit, die ganze Seele in ihr Spiel zu legen. Manchmal merkte sie lange nicht, dass ich im Bassteil den Anschluss verloren hatte. Früher oder später stolperte ich über einen Takt, fiel um einen zweiten zurück, suchte den Rückstand aufzuholen, wusste nicht mehr, wo ich war, und schlug schließlich Tasten an, die zu dem passen sollten, was M a dame Legrand im oberen Teil spielte. Da wir aber vom Blatt spielten, gelang mir das nicht immer. Plötzlich dämmerte es ihr dann, welche entsetzliche Kak o fonie wir da produzierten. Sie brach jäh ab, warf die Hände in die Luft und rief: »Mais qu’est-ce que vous jouez là, petite? Que c’est horrible!« Ich pflic h tete ihr aus ganzem Herzen bei – es war wirklich horrible, was ich da spielte. Worauf wir noch einmal von vorne anfi n gen. Wenn ich auf der oberen Hälfte spielte, wurde mein Mangel an Koordination n a türlich sofort hörbar. Aber im Großen und Ganzen k a men wir gut miteinander aus. Während Mad a me Legrand spielte, pustete und schnaubte sie ununte r brochen. Ihr Busen hob und senkte sich, sie ächzte und stöhnte; es war erschreckend, aber auch faszinierend. Überdies hatte sie eine sehr kräftige Ausdünstung; die war allerdings wen i ger faszini e rend.
Zu Semesterschluss stand ein Konzert auf dem Pr o gramm, in dem ich zwei Stücke spielen sollte: den dritten Satz aus Beethovens Sonate Pathétique und ein Werk mit dem Titel Ser e nade d’Aragona, oder so ähnlich. Ich fasste sofort eine Abne i gung gegen die Serenade d’Aragona. Es fiel mir außerordentlich schwer, sie zu spielen – ich weiß nicht, warum; sie war um vieles leichter als der Beeth o ven. Ich übte sie fleißig, aber das schien mich nur noch nervöser zu machen. Ich hatte Albträ u me, in welchen mir beim Konzert alles Mögliche passierte: Die Tasten klemmten, ich spielte auf einer Orgel statt auf dem Kl a vier, ich kam zu spät, das Konzert
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